© Heinrich Kantura/Peter Christoph Schwartz, A-1010 Wien, Hafnersteig 5/1/2/11 Prolog Unheimliche Geräusche, überall da, ein Surren, ein Zittern, ein Quietschen und Knarren, überall um ihn herum, ein Klopfen und Schlagen, ein Rascheln, ein Ziehen, ein Knacken, unheimlich in dieser Nacht, überall in dieser Nacht, ein Wehen und Bewegen, ein Bohren, ein Graben und Knirschen, überall in dieser Nacht, vor und hinter und unter ihm, ein Hecheln, ein Stöhnen, ein Keuchen, ein Speicheln und Trenzen, ein Lecken und Schmatzen, ein Fletschen, ein Knurren, unheimlich, überall. 98
© Heinrich Kantura/Peter Christoph Schwartz, A-1010 Wien, Hafnersteig 5/1/2/11 In der Nacht war ich über Monde gelaufen. Und ich habe gefühlt in diesen Stunden, daß die Sonne mich an irgendeinem Morgen verleugnen wird und verleumden. Aber ich war nur über Monde gelaufen; und bereits das hatte genügt, die Sonne zu verärgern. Denn ich war auch in der zweiten Nacht über Monde gelaufen, und ich hörte die Sonne dann sogar sich empören, obgleich ich nichts anderes getan hatte, als über Monde zu laufen. - - In der dritten Nacht endlich war ich nochmals über Monde gelaufen. Am Morgen dann, an jenem dritten Morgen hatte man mich erkannt als "Den-derüber-Monde-läuft". Also am dritten Morgen zum Beginn der fünften Stunde haben sie mich festgenommen; sie haben mich aufgehalten, nach meinen Papieren gefragt und schon mit ihren Handschellen und Fußfesseln geklimpert, dieweil sie meine Rocktaschen perlustrierten. Natürlich hatte ich weder irgendwelche Ausweispapiere bei mir, noch war ein zweiter mit mir gelaufen, der meine Identität hätte bezeugen können. Außerdem hatte ich seit der zweiten Nacht eine Gewißheit darüber, daß man mich zwar irgendwann nach meinem Namen und nach meinem Propusk würde fragen, aber keinesfalls ehrlich interessiert wäre an diversen Personalien. Sie wollten mich arretiert wissen, und die Frage nach meinen Papieren war also eine Formsache! - - Keinesfalls aber hatte ich mit einer so baldigen Festnahme gerechnet. Ich hatte vielmehr gedacht, daß ich elf Tage oder länger ungestört über Monde würde laufen können, und wurde dann doch, wie ich es bereits notiert, am dritten Morgen in Hand- und Fußfesseln abgeführt. - - Meine Zelle maß zweiundsiebzig Quadratmeter, Wohnraum und Alkoven, Bad, Toilette und Flur sowie ein Arbeitszimmer, hatte zudem vier große, natürlich von Gitterstäben umbaute Fenster und war in globo sehr geschmackvoll möbliert. Man hatte mir sogar eine Bibliothek eingerichtet! - - Ich dürfe hier wohnen bleiben, hatte mich der Gefängnisdirektor schließlich aufgeklärt, dessen Karte ich, wenige Minuten nachdem ich meine neue Wohnstätte betreten hatte an der Seite von zwei Wachmännern, überreicht bekommen habe von einem dritten, der mir endlich genauso distinguiert begegnete wie ein englischer Diener aus dem neunzehnten Jahrhundert seinem Dienstherren ("Der Herr Direktor läßt fragen, ob Sie den Herrn Direktor empfangen"). Ich lasse also bitten, habe ich geantwortet in dem Versuch, nicht weniger förmlich zu sein. - - Und da stand er nun - der Herr Direktor. Ein kleiner, vielleicht achtundvierzigjähriger Mann von gepflegtem Air, mit einem schmalen, gut gestutzten Oberlippenbart und mit großen jedennoch glanzlosen Augen, die mich an die Bulben von weidwundem Tier erinnerten. - - Wir hatten Platz genommen, und ein vierter Wachmann brachte uns Tee und Gebäck, dieweil wir schon rauchten und der Herr Direktor sichtlich bemüht war, ein Thema zu finden, über welches wir beide uns unterhalten können. - - Sie müssen wissen, hub er schließlich an, daß Sie hier...auf Lebenszeit bleiben...ich meine, wohnen bleiben... Ich nickte wohlgefällig und bedeutete ihm, ob er Milch haben wolle in seinen Tee. Ein wenig 99