© Heinrich Kantura/Peter Christoph Schwartz, A-1010 Wien, Hafnersteig 5/1/2/11 "Zum Ende der Schlacht" Ein Leseheftchen (Seite 869 – 876) 62
© Heinrich Kantura/Peter Christoph Schwartz, A-1010 Wien, Hafnersteig 5/1/2/11 Ich war auf der Suche, in der ganzen Stadt, an jedem Tag. Wie Ahasver daselbst lief ich umher, lief über Plätze und durch Höfe, querte eine Hundertschaft von Straßenkreuzungen, nahm die Stufen der Bahnstationen im Sprunge, stolperte über Fußsteige und Schlaglöcher, stieß gegen Laternen- und andere Masten, trat in Pfützen und Rinnsteine, stob über Brücken und Stege, und stürzte dann an der Kreuzung Mohngasse/Passerellestraße vor dem Hotel Rotunde. - - Der Asphalt dort roch nach Sonnencreme und Chlor, und er war heiß. Meine Weste war denn zerrissen, und ich blutete an der Stirnseite. Brauchen Sie einen Arzt? hörte ich jemand mich fragen. Ich brauche ein Zimmer, habe ich gelächelt; denn es war der Pförtner, der zu mir geeilt und mich gefragt hatte. Das können Sie bekommen, sagte er, und auch einen Arzt werden wir rufen lassen. Nein, keinen Arzt, habe ich sofort reagiert, keinen Arzt! Sie dürfen das nicht unterschätzen, mein Herr, fuhr er unbeirrbar fort, dieweil er mir aufhalf; Sie bluten ja. Oh, habe ich gelächelt und nach meinem Taschentuch gegriffen, oh, es ist nur Blut... Es sind keine Tränen, erklärte ich mich sogleich, sintemal der Pförtner vielleicht eine Art von Bewußtseinstrübung agnosziert hatte einfach nur deshalb, weil wir in ähnlichen Situation immer ähnlich outriert reagieren, es ist nur Blut. - - Meine Zimmernummer war die Zwölf; es war ein großes paneeliertes Zimmer, in welchem neben dem Bett und einer Chiffonniere zwei gepolstere Sessel, ein barockes Taburett sowie ein mit farbigen Intarsien geschmückter Schreibtisch standen, mit zwei Fensterbänken und verstaubten Draperien. - - Das Bett war weich, und es war groß, vielleicht zu groß für einen wie mich. Jedenfalls hatte ich die Fenster schließen und die Vorhänge zuziehen lassen, um die Sonne nicht zu riechen, nämlich jene mimenhafte despektierliche Gestalt flüssigen Magmas, die an dieser Stadt genausowenig interessiert ist wie an den Monden des Jupiter, welcher wiederum an den Kindern keinen Gefallen findet, die erzählt bekommen haben von eben ihm oder allenfalls gelesen haben über ebendiesen fünften Planeten in jenen Büchern, die sie versteckt hatten unter ihren Kopfkissen oder anderswo nur deshalb, weil sie sonst nicht mehr hätten träumen wollen! - - Ich hatte eine Karaffe eisgekühltes Wasser bestellt, das jetzt wie der stinkende Sud eines extramuralen Rinnsals wirkte in der Düsternheit des Zimmers (Aber ich fürchte nicht die Dunkelheit und nicht die Stille!) und von welchem ich keinen Schluck getan, obschon ich wußte, daß ich in der Nacht träumen würde von jenem Wasser, das ich dann mir selbst verwehrt haben werde. Also brannte ich eine Zigarette an und dachte an den zwölfjährigen Mozart, der vielleicht gewußt hatte, daß er sterben würde, und der endlich nur deshalb komponierte, w-e-i-l er starb. - - In der Nacht jedenfalls hatte ich nicht geschlafen; ich war auf dem Alkoven gelegen wie ein moribundes Käferchen im August und hatte mich der Mozartschen Musik zu erinnern befleißigt, wiewohl ich ihr abjuriert. Um 4 Uhr 10 klopfte es; der Chef de rang, der mich ein ängstlicher Mann mit nervösen zitternden kranken Lippen 63