Reise nach Zypern - Eberhardt TRAVEL
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tröste, rede ihr gut zu. Ab und zu bleibe ich besinnend stehen, bin entzückt über die herrlichen<br />
gelben Blütenstände der Disteln, fotografiere sie. Martina wettert vor sich hin.<br />
Dann stehen wir oben. Es ist ein Weg, wenngleich es noch kein<br />
Gipfelpunkt ist. Erst von hier sieht man, dass es noch höher<br />
geht. Der Platys drüben auf der Kette jenseits des Tales ist<br />
1420 m hoch. Wir stehen jetzt vielleicht auf etwa 1300 m,<br />
entschließen uns wieder <strong>nach</strong> unten zu gehen. Der Weg führt in<br />
das Tal hinunter, in dem der nördlichste Teil des Dorfes Agros<br />
liegt. Wir kreuzen den Europäischen Fernwanderweg E4,<br />
markiert mit dem blauen E. Wir suchen eine Sitzgelegenheit<br />
für eine kleine Pause, finden nichts Passendes, bleiben stehen<br />
und Verschnaufen. Überall verstreut liegen hier Papphülsen<br />
von Geschossen aus Jagdgewehren. Ich glaubte auch einmal<br />
einen Knall gehört zu haben. Die Bauern der Gegend gehen auf<br />
die Jagd. Worauf schießen sie? Ich habe hier keine wilden<br />
Tiere beobachten können. Den Prospekten zufolge soll es<br />
Mufflons geben. Kein Schatten. Es wird heiß. Aus dem Tal<br />
Distelblüten wie kleine Sonnen<br />
klingt helles Kinderlachen, Schulhoflärm herauf.<br />
Eine Abzweigung verlockt zum Erobern des nächsten Dorfes, es sind nur wenige Kilometer.<br />
Doch wir wenden uns <strong>nach</strong> rechts, der Weg fällt angenehm. Sogar Pfützen vom gestrigen<br />
Regen stehen noch an schattigen Stellen. Vögel zwitschern. Wir naschen wieder ein paar<br />
Weintrauben. Verlockend reifen die samtblauen Beerendolden und scheinen zu rufen: Pflücke<br />
mich, pflücke mich! Bald sehen wir weiter unten Leute winken, die zu uns heraufsehen. Hallo!<br />
Sie haben das Tal von der anderen Seite her erkundet und kommen uns nun entgegen. Bald<br />
treffen wir sie. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Der Vormittag ist noch nicht vorbei.<br />
Tschüs! Bis bald. Nun nimmt uns die aus Agros heraufführende Straße auf. Sie gabelt sich<br />
bald. Ein Zweig führt <strong>nach</strong> Pelendri und am Ende an die Küste <strong>nach</strong> Limassol, der andere <strong>nach</strong><br />
Chandria und westwärts hinauf in das Troodosgebirge. Beide Richtungen werden wir in den<br />
nächsten Tagen kennen lernen. Jetzt aber wandern wir wieder <strong>nach</strong> Agros hinein. Die<br />
Asphaltstraße holt weit aus. Auf ihren Serpentinen haben wir immer Agros im Bild.<br />
Diese ziehen sich in die Länge. An einem<br />
Neubau, der mit viel Beton und massiven<br />
Stützwänden an den Hang gebaut wird, ruhen<br />
wir aus, trinken einen Schluck Kaffee und<br />
essen einen Pfirsich. Nun geht es immer<br />
bergab, hinein ins Dorf. Es wird viel gebaut.<br />
An einem Haus denke ich, ich sehe nicht<br />
recht: Da steht auf einem hohen Betonsockel<br />
eine Freiheitsstatue mit Strahlenkrone, die<br />
Fackel in die Luft gereckt, die keine ist,<br />
sondern eine stinknormale Glühbirne. Im Arm<br />
trägt sie ein Buch und ein seltsames Zepter.<br />
Soll das ein Wahrzeichen von Agros werden? Ich bin verstört.<br />
Langsam beginnen die Füße zu schmerzen. Die schiefe Ebene des<br />
harten Asphalts staucht. Ich suche das weiche Bett der von den<br />
Pinien abgeworfenen Nadeln, die am Straßenrand das Gehen<br />
erleichtern. Dann sind wir unten im Ort. Eine Gärtnerei mit<br />
Tausenden Rosen in langen Beetreihen lässt einen Erwerbszweig<br />
erahnen, den wir heute Nachmittag noch besser kennen lernen<br />
werden. An einem Pfirsichhain versucht Martina, ein paar Früchte<br />
zu ernten. Sie sind trotz ihres reifen Aussehens noch sehr hart und<br />
fast nicht genießbar. Schade. Es ist wie im Paradies hier, wo die<br />
Früchte in den Mund wachsen. Bald steigt die Straße wieder. Zum<br />
Hotel hinauf wird es noch einmal richtig beschwerlich.<br />
© Rolf Bührend, Herbst/Winter 2006 Seite 68