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Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

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der Azur und funkelt der Himmel. Ein einziger Glanz! Riesige aber strahlende<br />

Prismen" (ebd. 1929, S. 144).<br />

Derartige Visionen waren umstritten. <strong>Die</strong> projektierten Architektone erregten<br />

nicht nur großes Aufsehen, sondern auch erhebliches Unbehagen. Grammatik und<br />

Ästhetik der von Le Corbusier und anderen Avantgarde-Architekten entwickelten<br />

neuen städtebaulichen Poesie wurden stets auch vehement kritisiert. Ernst Bloch<br />

beispielsweise gestand in seinem »Prinzip Hoffnung« den luftigen Kristallstadt-<br />

Entwürfen auch nicht den leisesten Aufschein eines „Traums nach vorwärts" (Bloch<br />

1970, S. 11) zu. Der im zweiten Teil des mit »Bauten, die eine bessere Welt<br />

abbilden« betitelten Kapitels 38 erhobene Vorwurf, die Architektur-Avantgarde hätte<br />

sich mehr im Schema festgerannt „als je eine Stilkopie im schlimmen neunzehnten<br />

Jahrhundert" (ebd., S. 860), gipfelt in drei Bannflüchen: „Extreme Kiste",<br />

„Schwindelfrische" und „Lichtkitsch" (ebd. S. 860, 862, 863).<br />

<strong>Die</strong>ses Verdikt läßt aufhorchen. Nicht nur, weil es laut und überdeutlich ist,<br />

sondern vor allem deshalb, weil es in ihm ein beharrliches Schweigen gibt, das sich<br />

in den 30er Jahren auszubreiten begann und heute, am Ende unseres Jahrhunderts,<br />

größer denn je ist. Genau jene Strömung der Avantgarde nämlich, die in ihren<br />

Projekten all das, was Blochs Widerwillen erregte, in komprimierter, ja geradezu<br />

idealtypischer Form zu verkörpern und zu verräumlichen suchte, wird von ihm nicht<br />

mit einem Wort erwähnt. Bei den Haus- und Stadt-Konstrukteuren, die der große<br />

Deutungsexperte kollektiver Träume so hartnäckig überschweigt, handelt es sich um<br />

eine Gruppe sowjetischer Architekten, in deren Arbeiten die „extremen Kisten", die<br />

„Schwindelfrische" und der „Lichtkitsch" in einer baulichen und ästhetischen<br />

Radikalität projektiert wurden, die in den Entwürfen ihrer westeuropäischen Kollegen<br />

nur selten oder gar nicht zu finden war.<br />

Mit Blick auf solche Pioniere des westeuropäischen Funktionalismus, wie<br />

etwa Adolf Loos, der indirekt den Bannsatz »Ornament ist Verbrechen!« formulierte<br />

(Loos 1972; Kühne 1985, S. 47), Walter Benjamin, der die „Zertrümmerung der<br />

Aura" und die „Entschälung des Gegenstandes aus seiner Hülle" (Benjamin 1963, S.<br />

19) forderte oder Bruno Taut, der die Dekoration als „Schmutzkruste" des<br />

Gegenstandes (Taut 1977, S. 48) bezeichnete, mag es zunächst übertrieben<br />

erscheinen, die Entwürfe der sowjetischen Architektur-Avantgarde als »radikal« zu<br />

charakterisieren. Dennoch ist diese Bezeichnung gerechtfertigt und nicht überhöht.<br />

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