Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

Dieses Verhältnis zwischen »ganzem Teil« und »durch und durch«, das
Derrida hier beschreibt und auf dem er so konsequent besteht, macht ihn nicht zu
einem „schwachen", „unechten" oder „halben" Europäer. Es ist kein
Prozentverhältnis, in dem 20 Prozent europäischer Derrida 80 Prozent
nichteuropäischem Derrida gegenüber stehen oder das sich darauf bezieht, daß er
im Herzen 100 Prozent Afrikaner und im Kopf 100 Prozent Europäer wäre. Wenn
Derrida sich dagegen wehrt »durch und durch« europäisch sein zu müssen,
beansprucht er damit nicht, irgend ein Stückchen seines Ichs „clean" zu halten und
gegen das Europäische abzudichten. Das »ganze Teil« ist der ganze Derrida. Mit
dem »ganzen Teil« verhält es sich wie mit der Schwere bei einem Stein. Im
Gravitationsfeld der Erde hat der Stein die Eigenschaft schwer zu sein und es gibt
kein Stückchen an ihm, daß nicht schwer wäre. Dennoch ist der Stein nicht »durch
und durch« schwer. Er ist nicht die reine Schwere, sondern besteht aus einem
bestimmten Material, hat eine besondere Form, besitzt eine charakteristische
Färbung und vieles mehr. Wenn Derrida fordert, mit einem »ganzen Teil« seiner
selbst etwas sein zu können, ohne es »durch und durch« sein zu müssen, dann
enthält diese Forderung eine Abweisung und eine Chance.
Die Abweisung bezieht sich auf jeden, wie auch immer gearteten oder
getarnten Fundamentalismus, der beansprucht, den Menschen »durch und durch«
zu besetzen und restlos in seine Gewalt zu bringen. Ein Fundamentalismus begnügt
sich nie mit einem »ganzen Teil«, er beansprucht alle. Dem Nationalismus
beispielsweise reicht es nicht, daß ein Ingenieur deutsch fühlt oder deutsch denkt,
auch nicht, daß er mit einem »ganzen Teil« seiner selbst deutsch ist, ihm geht es
darum, daß der »ganze Ingenieur« und der »ganze Mann« und alle seine »ganzen
Teile« »durch und durch« deutsch werden bis es nichts mehr in ihm gibt, was nicht
deutsch ist. Die Diktatur der Vernunft gibt sich nicht damit zufrieden, daß der
Ingenieur vernünftig denkt, auch nicht, daß der »ganze Ingenieur« vernünftig ist, sie
ist darauf aus, daß alle seine »ganzen Teile« Zug um Zug vernünftig werden, und
zwar so lange, bis er »durch und durch« vernünftig ist und es nichts Unvernünftiges
mehr an ihm gibt.
Der Fundamentalismus okkupiert zunächst einen »ganzen Teil« eines
Menschen, um sich dann von dort aus Schritt um Schritt alle anderen »ganzen
Teile« zu unterwerfen, bis er den Menschen »durch und durch« beherrscht. Dadurch
wird eine homogene Identität erzeugt. Der Mensch ist als Ingenieur vernünftig, als
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