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Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

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eine Reihe bedeutungs-, macht- und selbst-technischer Grenzen. <strong>Die</strong> handwerklich-<br />

unikathafte wich der industriell-serienmäßigen Großplatten-Produktion von Arbeiter-<br />

und-Bauern-Palästen, allerdings um den Preis einer drastischen Verringerung ihrer<br />

Größe. Der Wohnpalast mutierte zur Wohnzelle. <strong>Die</strong> von den kleinen Leuten heiß<br />

ersehnten Neubauwohnungen wurden von ihnen „Arbeiterschließfächer" (Müller<br />

1990, S. 92) oder, drastischer, „Fickzellen mit Fernheizung" (Müller 1996, S. 7)<br />

genannt. <strong>Die</strong>se Bezeichnungen waren in mehrfacher Hinsicht analytisch treffsicher.<br />

Im Vergleich zu den Anfang der 50er Jahre in der früheren Stalin- und<br />

späteren Karl-Marx-Allee gebauten Wohnungen, schrumpften die Zimmer in den in<br />

den 70er und vor allem 80er Jahren in Hellersdorf oder Marzahn errichteten Serien-<br />

Unterkünften in der Tat auf Zellen zusammen, was etwa in dem Bild „Fließfertigung"<br />

von Ulf Raecke (IX. Kunstausstellung 1982/83, S. 251) deutlich zum Ausdruck<br />

gebracht wurde. Und zwar auf Zellen, in deren räumlicher Enge sich die Menschen<br />

der Gefahr ausgesetzt sahen, sich letztlich nur noch begatten oder schlagen zu<br />

können, wie das Bild »Wände« von Wolfgang Peuker (IX. Kunstausstellung<br />

1982/83, S. 84) dem Betrachter in bestürzender Eindringlichkeit vor Augen führte.<br />

<strong>Die</strong> Menschen spürten, daß ihre Lebensräume zugleich einer Über- und<br />

Unterfunktionalisierung unterlagen. In die Wohnzellen wurden so viele Funktionen<br />

hineingestopft, daß sich deren Entfaltungsversuche, wechselseitig blockierten oder<br />

im Keim erstickten. Der Aufgabe, über ihre elementarsten Grundfunktionen hinaus<br />

zugleich auch noch als botanischer Garten, Nähstube, Hobbywerkstatt,<br />

Studierzimmer, Jugendclub, Vorratsspeicher, Abstellkammer, Versammlungssaal,<br />

Herberge, Gaststätte oder Pflegeheim zu dienen, war die Wohnzelle trotz des<br />

innenarchitektureilen Erfindungsreichtums seiner Bewohner beim besten Willen<br />

räumlich nicht gewachsen. Sehr kraß kam die Unterfunktionalisierung des seriellen<br />

Arbeiter-und-Bauern-Palastes darin zum Ausdruck, daß er seiner demographischen<br />

Basisfunktion immer weniger Raum gab, denn in den Wohnzellen überstauten sich<br />

die Gegenstände und Menschen und nachts dirigierten die räumlichen Distanzen zu<br />

den Zellengenossen und -nachbarn die Umarmung der Liebenden.<br />

Während der „Empire"/„Zuckerbäcker"-Stil den kleinen Leuten ursprünglich<br />

nur wenig Gelegenheit gab, selbst aktiv raumgestalterisch und raumkünstlerisch<br />

wirksam zu werden, bot und erzwang die Palastzellen-Ärchitektur größere<br />

Spielräume. <strong>Die</strong>se Spielräume wurden durch eine Massenbewegung im<br />

ursprünglichsten Sinne des Wortes, und zwar eine von »oben« und »unten«<br />

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