Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

Architekton sein. Ihm entsteigt die Aura der guten Stube der kleinen Leute. In ihr
können sie sich leicht wiedererkennen und heimisch fühlen.
Die Operationen, die er aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer an seinem
Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner
Existenzweise vorzunehmen hat, sind dem Einzelnen durch die bedeutungs-
technische Verkündungs- und die macht-technische Unterwerfungs-Funktion des
Palast-Architektons vorgeschrieben. Im Gegensatz zu Leonidows Instituts-
Konstruktion fallen hier die selbst-technischen Freiräume, in denen sich die
Menschen bewegen können, entweder sehr klein aus oder gänzlich weg. Dafür
bürdet der „stalinistische Empire" dem Einzelnen allerdings auch nicht die aus
großen und differenzierten selbst-technischen Möglichkeitsräumen zwangsläufig
erwachsenden Entscheidungslasten auf. Das Palast-Areal weist den Menschen die
Richtung (Vereinigung des russischen revolutionären Schwungs mit der
amerikanischen Sachlichkeit) und den Weg (das getaktete Demonstrationsband der
im Gleichschritt und auf Schulterschluß marschierenden Ameisenmenschen) ihrer
Selbstveränderung. Bewegen sich die Operationen, die der Einzelne an sich
vornimmt im Rahmen dieser selbst-technischen Konstruktionsvorgaben, kann er in
der vertrauten Aura der guten Stube, die der Palast ausdünstet, einen gewissen
Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der
Unsterblichkeit erlangen.
Die Begriffe „Zuckerbäckerstil" und „stalinistischer Empire" bezeichen somit
zwei wesentliche und nicht voneinander zu trennende Seiten dieser, gegen die
„Leonidowerei" gerichteten architektureilen Ordnungstechnik. Die bedeutungs-
technische Verkündungs- und macht-technische Unterwerfungsfunktion des
„stalinistischen Empire" kann sich erst über die selbst-technische
Ornamentierungsfunktion des „Zuckerbäckerstils" voll entfalten. Es lohnt daher,
diese Ornamentierungsfunktion etwas näher zu betrachten.
Der „Zuckerbäcker-Effekt ist kein Neben- oder Abfallprodukt der Palast-
Architektur, sondern eine der entscheidenden Barrieren, die diese gegen die
„Leonidowerei" errichtet. Und dieser Effekt entsteht nicht zufällig, sondern ist das
Ergebnis eines konsequent eingesetzten architektonischen Erwärmungsverfahrens:
Ein im Kern kaltes Architekton wird solange von außen und innen baukünstlerisch
aufgeheizt, bis seine Gestalt zu zerfließen beginnt und Wärme abstrahlt.
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