Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB
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Menschen in Tausenderkästen im Gleichschritt und auf Schulterschluß am Sockel<br />
des Denkmals vorbeimarschieren, wirkt sein architektonischer Auftritt<br />
entsachlichend. Das da oben ist unverwechselbar Wladimir lljitsch Uljanow. Ein<br />
Standbild, freilich - aber ein besonderes, wie aus einem Dokumentarfilm. In bezug<br />
auf den Pyramidenturm, um den sich etagenweise Skulpturen wie in einer<br />
erzgebirgischen Weihnachtspyramide ranken, wirkt er versachlichend. Da ist nichts,<br />
was ihn aufschmückt. Er wirft sich auf seinem Sockel in Positur, sicher - aber in<br />
seine eigene.<br />
Und dann ist da vor allem dieser ausgestreckte rechte Arm mit der geöffneten<br />
Hand. <strong>Die</strong> Geste ist eindeutig: In ihr vereinigen sich der versachlichte revolutionäre<br />
Schwung und der entsachlichte Amerikanismus des gesamtem Architektons. <strong>Die</strong><br />
Geste ist doppeldeutig: Sie lenkt den Blick sowohl in die programmierte Zukunft als<br />
auch auf die imaginäre Freiheitsfackel. <strong>Die</strong> Geste ist vieldeutig: Was symbolisiert die<br />
amerikanische Sachlichkeit: die Suche nach der Freiheit oder der Traum von einem<br />
besseren Morgen? Was symbolisiert den revolutionären Schwung: der Griff nach der<br />
Fackel oder die Orientierung nach vorn? Oder, anders herum gefragt, was bedeutet<br />
die Handbewegung: Amerikanismus und/oder Revolution? Versachlicht oder<br />
entsachlicht die Geste? In dieser Verkehrungsspirale wird der Betrachter nicht auf<br />
sich oder auf andere Menschen, sondern nur auf das Monument, und damit auf die<br />
Formel, die es verkündet, verwiesen. <strong>Die</strong> Formel kann lediglich interpretiert, nicht<br />
diskutiert oder gar in Frage gestellt werden. Dafür gibt es in diesem Palast-Entwurf<br />
keinen Raum.<br />
<strong>Die</strong>se Entwurfsvariante entsprang keinem plötzlichen Gedankenblitz. Ihre<br />
motivgeschichtlichen Spuren lassen sich sowohl in früheren Projekten Helfreichs,<br />
lofans und Stschukos als auch in den Arbeiten vieler ihrer Kollegen ausmachen. Zu<br />
diesen Spuren gehören beispielsweise Fotomontagen und Architektone von<br />
Malewitsch. Hier ist die Absicht, revolutionären Schwung und amerikanische<br />
Sachlichkeit zu vereinigen in abstrakter und zugleich sehr anschaulicher Weise zu<br />
erkennen. In einer Fotomontage, die vermutlich Mitte der 20er Jahre entstand, setzt<br />
Malewitsch einen seiner Architekton-Entwürfe zwischen die Wolkenkratzer New<br />
Yorks (Chan-Magomedow 1983, Abb. 40). Und seine 1923 projektierten horizontalen<br />
(Chan-Magomedow 1983, Abb. 39, 41-43), noch mehr jedoch die Mitte der 20er<br />
Jahre entworfenen vertikalen (Chan-Magomedow 1983, Abb. 45-48), Architektone<br />
muten wie Destillate amerikanischer Großstadt-Architekturen an. Das Motiv<br />
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