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Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

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können; alle Bundesbürger könnten und sollten sich mit einem »ganzen Teil« ihrer<br />

selbst als Deutsche fühlen, ohne daß dieser »ganzen Teil« zu einer emotionalen,<br />

kognitiven oder sonstigen Mitte wird, die sie so »durch und durch« beherrscht, daß<br />

sie für Fremdes nicht mehr offen sind und allem Nichtdeutschen reserviert oder gar<br />

feindlich gegenüber stehen. Ein solche Öffnung homogener Identitäten erweist sich,<br />

wie der Streit um die Hauptstadt-Architektur zeigt, aus mehreren Gründen als<br />

schwierig.<br />

Zum einen neigen Menschen dazu, jenen »ganzen Teil« ihrer selbst, von dem<br />

sie besonders ergriffen sind, also etwa die Dorf-Poesie, anderen Menschen<br />

aufzunötigen und, wenn sie sich in machtstärkeren Positionen befinden, auch<br />

trickreich aufzuherrschen. <strong>Die</strong>s kann dann bei den Menschen, die dadurch einen für<br />

sie wichtigen »ganzen Teil« ihrer selbst, also etwa die Palast-Poesie, bedroht<br />

sehen, leicht dazu führen, daß die Rettung dieses angegriffenen »ganzen Teils« sie<br />

so »durch und durch« gefangen nimmt, daß sie nicht mehr in der Lage sind mögliche<br />

andere Poesien wahrzunehmen, geschweige denn sich darauf einzulassen.<br />

Zum anderen ist allen Bundesbürgern, ob sie nun der Dorf-, Mauer-, Palast-<br />

oder irgendeiner sonstigen Poesie ergeben sind, ein bestimmter »ganzer Teil« ihrer<br />

selbst, nämlich ihre Nationalität, gemeinsam. Und genau über diesen gemeinsamen<br />

»ganzen Teil« dient sich ihnen eine Rhetorik der „Mitte", des „Zentrums", des<br />

„Hauptortes" oder des „emotionalen Mittelpunktes" an, die ihren Kontroversen eine<br />

falsche Bedeutsamkeit verleiht und in ihnen über die Zusatzformel der<br />

„Städtekonkurrenz" überdies noch nationale Existenzängste weckt, die diesen<br />

gemeinsamen »ganzen Teil« über Gebühr stärken.<br />

Aber auch wenn dieses wenig ergiebige und vermeidbare Herumzerren an<br />

den verschiedenen »ganzen Teilen« der Menschen unterbliebe und die<br />

Aufmerksamkeit mehr auf die Öffnung homogener Identitäten gelenkt würde, als<br />

darauf, wie im Zentrum des Hauptortes der Deutschen deren kognitiv gesteuerte<br />

Intelligenz am schnellsten und wirksamsten städtebaulich in den Ruhestand<br />

geschickt werden kann, wäre eine solche Öffnung auch so schon schwierig genug.<br />

Derrida sieht dafür eine ganze Reihe von Gründen, unter anderem folgende zwei:<br />

Erstens wirft Derrida die Frage nach dem Ort einer Hauptstadt auf. Kann es<br />

heute für eine Kapitale, im Sinne „des vorherrschenden Mittelpunktes" (ebd., S. 31),<br />

des Hauptortes, des Zentrums überhaupt „einen Ort (ebd., S. 30) geben? Müßten<br />

uns nicht die veränderten „technisch-wissenschaftlich-wirtschaftlichen<br />

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