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Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

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<strong>Die</strong> zweite Richtung, in der der Palast unterging und die gerade in der DDR<br />

sehr anschaulich zu Tage trat, vollzog sich in dem Versuch, jedem Bewohner des<br />

„Arbeiter-und-Bauern-Paradieses" einen kleinen Palast zur Verfügung zu stellen Der<br />

Begriff des Paradieses ist hier nicht ironisch oder gar zynisch eingesetzt. Gewiß,<br />

wann immer die DDR von ihren Gegnern oder ihren eigenen Bürgern als „Arbeiter-<br />

und-Bauern-Paradies" bezeichnet wurde, schwang in solchen Reden zumeist ein<br />

sarkastischer Unterton mit. Dennoch, völlig schief war dieses Bild nicht. Im Vergleich<br />

mit vielen anderen sozialistischen und nichtsozialistischen Gesellschaften der<br />

organisierten Moderne besaß diese „Gesellschaft der kleinen Leute" (Gaus 1987, S.<br />

31 ff.) in der Tat paradiesische Züge. Und zwar nicht nur was die propagandistischen<br />

Verheißungen, sondern auch was die Alltags-, insbesondere die Arbeitswelten der<br />

Menschen (Marz 1991; Marz 1993a) und deren freiwilligen und unblutigen Auszug<br />

aus ihrer sozialen Welt anbetraf (Marz 1993b).<br />

Im Arbeiter-und-Bauern-Paradies sollten und wollten die Knechte von gestern<br />

wie Herren leben und wohnen. <strong>Die</strong> vorhandenen Schlösser, Villen, Palais, Burgen<br />

und Gutshäuser der ehemals Mächtigen reichten dafür nicht aus. An diesem Mangel<br />

setzte der „Empire u /„Zuckerbäcker"-Stil an und machte es sich zur Aufgabe, den<br />

kleinen Leuten den ihnen gemäßen Raum zu verschaffen. Platzfragen spielten kaum<br />

eine, im Grunde gar keine Rolle. Wo kein Platz war, konnte er geschaffen werden.<br />

Was sich der neuen Sakralarchitektur baulich entgegenzustemmen drohte, lies sich<br />

mit Hinweis auf die ohnehin zerstörten Städte und die elementaren Wohn- und<br />

Lebensbedürfnisse der arbeitenden Menschen niederwalzen oder wegsprengen.<br />

Vom sozialen Prinzip her konnten die neuherrschaftlichen Architektone ungehindert<br />

die Erde besetzen und sich in alle Himmelsrichtungen breit machen. <strong>Die</strong>s verführte<br />

dazu, mit dem Raum verschwenderisch umzugehen und ihn großflächig totzulegen.<br />

<strong>Die</strong>se Seite des „Zuckerbäckerstils" wurde in der Berliner Stalin-Allee sehr<br />

schnell spürbar: <strong>Die</strong> später auch teilweise als Paradierstraße genutzte Magistrale<br />

wurde ursprünglich als Arbeiter-und-Bauern-Boulevard projektiert. Wer sich hier<br />

jedoch zu einem Einkaufsbummel anschickte, sah sich zu ausgedehnten<br />

Fußmärschen genötigt, um den Geschäften seiner Wahl einen Besuch abzustatten.<br />

Und wer dort abends zu flanieren gedachte, war in aller Regel allein. Spätestens ab<br />

19. 30 Uhr, spottete der Volksmund, würden hier die Bürgersteige hochgeklappt.<br />

<strong>Die</strong>se, außenräumlich verschwenderische und innenräumlich großzügige Art<br />

des Palast-Wohnungsbaus stieß jedoch seit Ende der 50er Jahre zunehmend an<br />

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