07.10.2013 Aufrufe

Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

Die Leonidow-Kugel. Zur technischen Paßfähigkeit moderner ... - WZB

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1963, S. 50) und der „Menschenmaschine" (Weber 1924, S. 414; Ermanski 1925, S.<br />

187; Bucharin 1971, S. 40-41; Ehrenburg 1976, S. 199/200) verlangte nach der<br />

„Stadtmaschine" (Knie/März 1997) und der „Wohnmaschine" (Le Corbusier zit. nach<br />

Lampugani 1993, S. 10).<br />

<strong>Die</strong> »Poesie der Vergangenheit« verstand und artikulierte sich wesentlich als<br />

ein gegen die »Poesie der Zukunft« mit ihren „extremen Kisten", ihrem „Lichtkitsch"<br />

und ihrer „Schwindelfrische" gerichteter Antifunktionalismus. Auch dieser<br />

Antifunktionalismus war in den Erfahrungen der Menschen verankert, die diese in<br />

der ersten Krise der Moderne machten, allerdings auf einer anderen Ebene. <strong>Die</strong><br />

Erfahrung, daß sich sozial bindende Normen, Werte und Ideale, die als<br />

unerschütterlich galten, auflösten (Hughes, H. 1958; Rosenberg 1967; Kondylis<br />

1991) und vertraute Maßstäbe des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns<br />

ihre Gültigkeit verloren (Asendorf 1984; Asendorf 1989; Burckhardt 1994: 246-305),<br />

erzeugte nicht nur frische, sondern auch dumpfe Schwindelgefühle, die der<br />

Funktionalismus weder bedienen konnte noch wollte, nämlich eine Sehnsucht nach<br />

der guten alten Zeit und ein Heimweh nach der ehemals heilen Welt. <strong>Die</strong>sem<br />

Gefühl, und dem daraus erwachsenden Wunsch, das Entwicklungstempo zu<br />

verlangsamen und das Rad der Geschichte stillzustellen, verlieh der<br />

Antifunktionalismus architektonisch Ausdruck. Er zitierte und beschwor<br />

Vergangenheit. Der Antifunktionalismus trat in zwei charakteristischen Formen in<br />

Erscheinung, und zwar einem historisch-zentrierten und einem gegenwarts-<br />

zentrierten Antifunktionalismus.<br />

Der historisch-zentrierte Antifunktionalismus schöpfte seine Zitate aus dem<br />

Dunkel der (Architektur-)Geschichte. Er war tendenziell aristokratisch. Dorische<br />

Kapitelle, korinthische Säulen und romanische Basiliken wurden aus ihren<br />

Entstehungskontexten herausgebrochen und in geschwätziger Gelehrsamkeit<br />

repetiert. Der Baukörper verwandelte sich in ein Kollektaneen-Heft für das<br />

Bildungsbürgertum. Über das eklektische Menü kunsthistorischer Sentenzen, sollte<br />

das Architekton so fest mit venezianischen Palästen, gotischen Kathedralen,<br />

mittelalterlichen Trutzburgen und barocken Schlössern vertäut werden, daß es der<br />

Sturm der Moderne nicht mit sich reißen konnte. Erst wenn diese Vertäuungsarbeit<br />

geleistet war, wandten sich die Poeten der Historie lust- und kraftlos der prosaischen<br />

Gegenwart zu, sprich dem Hineinquentschen alltagsweltlicher Funktionen in das<br />

sakrale Architekton.<br />

67

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!