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Bürger, die Geschichte schreiben - Stiftung Polytechnische ...

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staDtteilHistoriker 2007 – 2010 | HaNs PeHl (staDtteilÜBerGreiFeND) 113<br />

beliebt. es lässt sich – außer in der erinnerung einiger Weniger – keine<br />

Nachwirkung auf <strong>die</strong> entwicklung Frankfurts zur jazzhauptstadt der<br />

ersten Nachkriegsjahrzehnte ausmachen, und es waren schon lange<br />

vor dem ersten Weltkrieg auch in Frankfurt insbesondere der tanz,<br />

der Gesang und „<strong>die</strong> eigentümlichen Melo<strong>die</strong>n“ der afroamerikaner,<br />

<strong>die</strong> das Publikum faszinierten. erst Mitte der 1920er jahre hatten<br />

revuen in den reihen ihrer Begleitorchester auch Musiker, <strong>die</strong> spontan<br />

erfundene, swingende soli zu bekannten themen vortrugen<br />

– also das spielten, was heute unter altem oder traditionellem jazz<br />

verstanden wird.<br />

einige Namen sollten doch genannt werden. schon während des<br />

kaiserreichs kamen vier große Gruppen nach Frankfurt: der Chor<br />

der „Fisk jubilee singers“, jarrett und Palmer’s „amerikanische<br />

Neger gesell schaft“, William Foote’s „african american Character<br />

Concerts“ und abbie Mitchell und ihre „tennessee students“; außerdem<br />

zwei Bands, deren Besetzung leider noch nicht ermittelt werden<br />

konnte. Viele Gesangs- und tanzpaare gastierten, darunter zweimal<br />

das berühmteste von allen: Charles johnson und Dora Dean. einige<br />

Unterhaltungskünstler wie <strong>die</strong> Gesangsgruppen Black troubadours<br />

und Black Diamonds traten so oft auf, dass das Publikum ein vertrautes<br />

Verhältnis zu ihnen aufbauen konnte. Mindestens drei Gäste<br />

kamen vor und nach dem ersten Weltkrieg, zum Beispiel <strong>die</strong> sängerin<br />

arabella Fields, der sänger Will Garland und vor allem der sänger und<br />

Pianist james elmer spyglass, der in Frankfurt und schwalbach den<br />

Zweiten Weltkrieg überlebte. Über <strong>die</strong> Musiker, <strong>die</strong> nach dem ersten<br />

Weltkrieg hier spielten, informiert man sich nach wie vor am besten<br />

in jürgen schwabs Buch. stellvertretend für sie soll hier sidney Bechet<br />

stehen. Mit seinen „Mississippi jazzers 1927“ hatte er ein etwa zehnwöchiges<br />

engagement in der tanzklause am eschenheimer turm und<br />

lernte dort elisabeth Ziegler kennen, <strong>die</strong> er 1951 heiratete und <strong>die</strong> mit<br />

ihrer Mutter in der eisernen Hand 42 wohnte.<br />

Die schwierigkeiten der Darstellung sollen nicht übergangen werden.<br />

schon <strong>die</strong> Quellenlage ist nicht sehr günstig. Die tageszeitungen<br />

– sofern erhalten –, <strong>die</strong> Varietézeitschriften und <strong>die</strong> in den Usa erscheinenden<br />

Wochenzeitungen der afroamerikaner geben nicht kontinuierlich<br />

und erschöpfend auskunft über <strong>die</strong> auftritte. Dann war<br />

zu entscheiden, in welchem Umfang <strong>die</strong> Quellen und <strong>die</strong> verwendete<br />

literatur aufgeführt werden sollten. schließlich gab es bei der Beantwortung<br />

der Frage, wie das charakteristisch afroamerikanische beim<br />

Publikum ankam, das Problem der rückprojektion. Wie war überzeugend<br />

auseinanderzuhalten, was wir heute von der Biographie und<br />

dem repertoire der künstler wissen, und was das damalige Publikum<br />

erlebte und erkannte?<br />

Die arbeit gibt den Forschungsstand von anfang 2010 wieder. inzwischen<br />

haben weitere recherchen neue ergebnisse gebracht. erweitert<br />

man das thema auf alle afroamerikaner (sportler, Bildungsreisende<br />

etc.) oder auf alle Menschen afrikanischer Herkunft, <strong>die</strong> bis 1945<br />

Frankfurt besucht haben oder zeitweilig hier lebten, finden sich<br />

sicher noch viele neue informationen über das Verhältnis der Frankfurter<br />

und ihrer schwarzen Gäste zueinander. Wer sich für <strong>die</strong>se Forschungen<br />

interessiert, kann den autor der stu<strong>die</strong> gern kontaktieren.<br />

ZUr PersoN<br />

Hans Pehl<br />

im rückblick finde ich drei Motive für<br />

meine themenwahl: erstens – was mit<br />

meinem Geburtjahr 1940 zusammenhängen<br />

mag – Neugier zu wissen, wie eine bestimmte<br />

historische entwicklung zustande<br />

kam. Zweitens meine Begeisterung für<br />

Blues und den von schwarzen gespielten<br />

jazz. seit ich joachim-ernst Berendts „jazzbuch“<br />

gelesen hatte („Das jazzbuch: von<br />

New orleans bis ins 21. jahrhundert“,<br />

7. aktualisierte auflage Frankfurt 2005),<br />

den klassiker unter den deutschsprachigen<br />

jazzbüchern, verbanden sich für mich bis<br />

heute zwei Dinge eng miteinander: jazz zu<br />

hören und darüber zu lesen.<br />

Zum auslöser für meine recherche<br />

wurde drittens der Wunsch, nicht für mich<br />

zu behalten, was meiner ansicht nach im<br />

Gedächtnis bleiben sollte. als <strong>die</strong> afroamerikanischen<br />

soldaten der in Frankfurt<br />

stationierten Us-armee nach 50 jahren <strong>die</strong><br />

stadt fast unbemerkt verließen und <strong>die</strong><br />

Blues- und jazzkonzerte, <strong>die</strong> ich erlebt habe,<br />

schnell vergessen waren, wollte ich daran<br />

erinnern, dass im Grunde nur <strong>die</strong> jahre des<br />

ersten Weltkriegs und des Nationalsozialismus<br />

<strong>die</strong> Besuche von afroamerikanern in<br />

Frankfurt unterbrochen haben.<br />

es hat mich gefreut, dass mein thema<br />

bei allen, <strong>die</strong> an dem Projekt beteiligt<br />

waren, so große aufmerksamkeit gefunden<br />

hat. – ob wohl heute ein aktuelles interesse<br />

daran bestehen mag?

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