Bürger, die Geschichte schreiben - Stiftung Polytechnische ...
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staDtteilHistoriker 2007 – 2010 | lilo GÜNZler, sCHWaNHeiM 99<br />
Lilo Günzler erhielt am 29. April 2009 das Bundesver<strong>die</strong>nstkreuz für ihr<br />
außergewöhnliches ehrenamtliches Engagement. (Fotos: Dominik Buschardt)<br />
Bericht war ganz sachlich gehalten, aber es fehlten aus meiner sicht<br />
auch viele erläuterungen des alltags“, beschreibt agnes rummeleit<br />
ihre ersten leseeindrücke. Damals hatte sie, um sich auf ihre aufgabe<br />
als Co-autorin vorzubereiten, einen kurs an der Frankfurter Universität<br />
des 3. lebensalters belegt, und sofort setzte sie ihre kenntnisse<br />
um: „Zunächst einmal wollte ich nicht alles hintereinander weglesen,<br />
um mir bewusst den Zeithorizont offenzuhalten.“ schließlich wusste<br />
<strong>die</strong> Familie damals auch nicht, was der nächste tag bringen würde<br />
oder – zumindest in den jahren unmittelbar nach 1933 – wie lange<br />
<strong>die</strong> Ns-Herrschaft andauern würde. lilos <strong>Geschichte</strong> sollte nicht von<br />
ihrem ende her, nicht von der Vernichtungspolitik oder der zerbombten<br />
altstadt her, aber auch unbeeinflusst von der gänzlich unwahrscheinlichen<br />
rettung des 12-jährigen Mädchens aus einem menschenleeren<br />
Mehrfamilienhaus der iG-Farben-siedlung durch einen<br />
schwarzen amerikanischen soldaten, erzählt werden. jeder tag sollte<br />
gleichsam zählen, da waren sich <strong>die</strong> beiden einig.<br />
so ist ein ungemein berührendes und spannendes Buch entstanden,<br />
das seine leser mit den persönlichen eindrücken, aber auch<br />
mit den vielen alltagshistorischen Details in seinen Bann zieht. „ich<br />
erinnere mich an den Gaszähler in unserer Wohnung, in den meine<br />
Mutter Münzen einwarf, wenn sie etwas kochen wollte. sie bewahrte<br />
ZUr PersoN<br />
Lilo Günzler<br />
lilo Günzler (links im Bild) wurde im jahr<br />
1933 als lilo Wessinger in Frankfurt am Main<br />
geboren. sie wuchs im Haus Wollgraben<br />
Nr. 10 auf, einer heute nicht mehr existenten<br />
straße unterhalb des Börneplatzes. seit<br />
1938 ging sie in <strong>die</strong> schule, durch <strong>die</strong><br />
erzwungenen Unterbrechungen zog sich<br />
der abschluss bis nach dem krieg hin. Dann<br />
erlernte sie den Beruf einer erzieherin und<br />
arbeitete als erzieherin und als lehrerin an<br />
der Minna-specht-schule in schwanheim.<br />
in ihrem stadtteil ist sie seit 1977 aktiv, im<br />
Heimat- und Geschichtsverein amtet sie als<br />
1. Vorsitzende. außerdem leitet sie einen<br />
weit über <strong>die</strong> Grenzen schwanheims hinaus<br />
bekannten theaterkreis und schreibt selbst<br />
historische theaterstücke zur schwanheimer<br />
<strong>Geschichte</strong>. seit 2005 ist sie auch als<br />
Zeitzeugin aktiv.<br />
lilo Günzler wurde von agnes<br />
rummeleit (rechts im Bild) bei der<br />
konzeption und abfassung ihres Buches<br />
tatkräftig unterstützt.<br />
passende Münzen eigens zu <strong>die</strong>sem Zweck auf“, sagt lilo Günzler.<br />
„ein Münzautomat für stadtgas in der Wohnung – das weiß doch<br />
heute kein Mensch mehr!“, so rummeleit. „Wir wollten uns gerade<br />
auch an junge Menschen wenden, wie sie lilo schon seit 2005 in ihren<br />
Zeitzeugengesprächen als Publikum hat.“ Die schüler wollen alles<br />
ganz genau wissen – und so wird der alltag konkret. „ein schüler<br />
wollte während einer lesung wissen, was ich mir denn angesichts<br />
von lebensmittelzuteilung und Mangelwirtschaft aufs Brot geschmiert<br />
habe. senf, sagte ich, denn den gab es ohne karten“, erzählt<br />
Günzler. „solche konkreten Fragen haben uns für unser Buch<br />
inspiriert und motiviert.“