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Bürger, die Geschichte schreiben - Stiftung Polytechnische ...

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staDtteilHistoriker 2007 – 2010 | aNNa leiss (staDtteilÜBerGreiFeND) 63<br />

Neue Wasserleitung Frankfurt am Main, 1859. (Bild: ISG)<br />

<strong>die</strong> Frankfurter liberalen an sozialen Denkweisen. Die stadtväter verzichteten<br />

jahrelang auf <strong>die</strong> einführung von Wasseruhren, während<br />

in anderen deutschen städten <strong>die</strong>se abrechnungsform schon längst<br />

gang und gäbe war. Bis 1924 gab es einen Pauschaltarif, der im Frankfurter<br />

stadtgebiet zunächst bei vier Prozent des Mietwertes lag. Die<br />

Frankfurter stadtverordnetenversammlung ging noch einen schritt<br />

weiter. Vor allem ihre demokratischen Vertreter forderten eine Befreiungsgrenze<br />

für arme und bedürftige einwohner. schon vor 1889 hatte<br />

<strong>die</strong> stadtverordnetenversammlung beschlossen, den Wasserpreis für<br />

günstige Wohnungen zu senken. auf Drängen des Magistrats hatte<br />

sie den Beschluss jedoch wieder fallenlassen. erst als <strong>die</strong> Wasserversorgung<br />

offensichtlich Gewinne abwarf, kamen <strong>die</strong> stadtvertreter<br />

überein, dass es „ein Gebot der logik und der Gerechtigkeit“ sei,<br />

neben steuersenkungen auch das Wassergeld für bedürftige Bewohner<br />

zu reduzieren.<br />

am 1. april 1889 trat schließlich das neue ortsstatut in kraft, nach<br />

dem alle Mieter, <strong>die</strong> einen jährlichen Mietwert bis zu 250 Mark hatten,<br />

von der Wassergeldzahlung befreit wurden.<br />

Dies gewährleistete, dass konsumenten unabhängig von ihrer<br />

sozialen stellung nicht nur eine ausreichende Wassermenge für<br />

hygienische Zwecke überhaupt zur Verfügung hatten, sondern Wasser<br />

auch nach den persönlichen Bedürfnissen verbrauchen konnten.<br />

Die Diskussionen über einen angemessenen Wasserpreis sind in<br />

Frankfurt bis heute nicht abgebrochen. 2007 strengte das hessische<br />

Wirtschaftsministerium ein kartellverfahren gegen den Frankfurter<br />

Wasseranbieter Mainova wegen vermeintlich missbräuchlich hoher<br />

Wasserpreise an. Das Gerichtsurteil ist bis heute nicht gefällt. anders<br />

sieht es bei der Frankfurter stadtentwässerung aus: <strong>die</strong> satzung des<br />

städtischen eigenbetriebes verlangt noch heute moderate Preise für<br />

<strong>die</strong> Benutzung der kanalisation.<br />

als 1894 <strong>die</strong> stadtverordneten erstmals über eine Benutzungsgebühr<br />

für <strong>die</strong> kanalisation sprachen, argumentierten einzelne städtische<br />

Vertreter, dass eine Gebühr nur einzuführen sei, wenn der kanalbetrieb<br />

ein Haushaltsdefizit aufweise. ein Fünftel des städtischen<br />

Haushaltes floss damals jährlich in den kanalbau. Die ausgaben der<br />

ZUr PersoN<br />

Anna Leiss<br />

anna leiss, geboren 1981 in der Hansestadt<br />

Hamburg, wuchs im Großraum Frankfurt<br />

auf und lebt heute im beschaulichen<br />

Dietesheim, einem ortsteil von Mühlheim<br />

am Main.<br />

sie hat bis 2009 an der Goethe-Universität<br />

Mittlere und Neuere <strong>Geschichte</strong> sowie<br />

Politikwissenschaften stu<strong>die</strong>rt. in ihrer abschlussarbeit<br />

beschäftigte sich leiss erstmals<br />

mit dem thema „Munizipalsozialismus<br />

in Frankfurt? Das entstehen der städtischen<br />

leistungsverwaltung.“ in akten aus dem<br />

institut für stadtgeschichte stieß sie dabei<br />

auf eine bisher kaum beachtete Besonderheit<br />

Frankfurts: eine soziale tarifgestaltung<br />

in der Wasserver- und -entsorgung. im<br />

Programm „stadtteilHistoriker“ konnte sie<br />

<strong>die</strong> Forschungen zu <strong>die</strong>sem thema weiter<br />

ausbauen und durch Veröffentlichungen<br />

und in Vorträgen einem größeren Publikum<br />

vorstellen.<br />

aktuell arbeitet leiss an ihrer von dem<br />

Frankfurter Professor andreas Fahrmeir<br />

betreuten Dissertation, <strong>die</strong> thematisch eine<br />

Weiterführung ihrer abschlussarbeit ist.<br />

neuen städtetechnik belasteten den Haushalt so stark, dass Frankfurt<br />

kredite aufnehmen musste. 1904 ließ sich aufgrund <strong>die</strong>ser<br />

kosten eine Gebühr nicht mehr vermeiden. Um auch <strong>die</strong>se Gebühren<br />

sozialverträglich zu gestalten, staffelte sich der Betrag ähnlich<br />

dem Wasserpreis und orientierte sich am Mietwert der immobilie.<br />

Bewohner mit einem jährlichen Mietzins von weniger als 300<br />

Mark blieben von der Gebühr gänzlich befreit. Die einführung der<br />

Befreiungs grenze zeigt, dass soziale Gesichtspunkte bei der Gebührenerhebung<br />

eine wichtige rolle spielten – und Frankfurt einen<br />

durchaus sozialen Weg in <strong>die</strong> Moderne gewählt hat.

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