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Ausgabe 210

Das unparteiische, unabhängige Magazin für ÖsterreicherInnen in aller Welt mit dem Schwerpunkt „Österreich, Europa und die Welt“ erscheint vier Mal im Jahr.

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ÖSTERREICH JOURNAL NR. <strong>210</strong> / 18. 04. 2024<br />

Um Migration und Interaktion vor tausenden<br />

von Jahren zu verstehen, waren<br />

WissenschafterInnen bis dato vor allem auf<br />

archäologische und historische Daten angewiesen.<br />

Nun erlaubt die Analyse der DNA<br />

tausender Individuen aus der Antike spektakuläre<br />

neue Einblicke in diese Epoche. Die<br />

Daten zeigen etwa, wie vielfältig die Bevölkerung<br />

vieler Gebiete des Römischen Reichs<br />

waren: Mindestens 8 Prozent der in die Studie<br />

einbezogenen Personen stammten ur -<br />

sprünglich nicht aus dem Gebiet Europas,<br />

Afrikas oder Asiens, in dem sie begraben<br />

wurden. Ron Pinhasi von der Universität<br />

Wien war als Co-Leiter an der Studie beteiligt,<br />

die kürzlich im renommierten Fachmagazin<br />

„elife“ publiziert wurde.<br />

Während der tausendjährigen Herrschaft<br />

des Römischen Reiches begannen die verschiedenen<br />

Völker, sich auf neue Weise zu<br />

verbinden – durch Handelswege, wirtschaftliche<br />

und politische Zusammenarbeit und<br />

gemeinsame militärische Unternehmungen.<br />

Ein internationales Team unter der Leitung<br />

von ForscherInnen der Stanford Medicine<br />

und Co-Leitung von Ron Pinhasi von der<br />

Universität Wien hat nun genetisches Material<br />

aus antiken Skeletten analysiert, um ein<br />

detailliertes Bild der Reise- und Migrationsmuster<br />

während der Blütezeit des Reiches zu<br />

erstellen.<br />

In der Studie konzentrierten sie sich auf<br />

ein engeres Zeitfenster – vom Ende der<br />

Eisenzeit vor 3.000 Jahren bis zum Mittelalter<br />

–, untersuchten dafür aber ein geografisches<br />

Gebiet, das das gesamte Römische<br />

Reich umfaßt. So konnten sie schließlich<br />

auch nachzeichnen, wie vielfältig unterschiedliche<br />

Regionen im Vergleich zueinander<br />

bevölkert waren. Geografisch isolierte<br />

Ge biete, wie das armenische Hochland, das<br />

von Bergen umgeben ist, waren am wenigsten<br />

divers. Insgesamt gab es jedoch in den<br />

meisten Gebieten des Römischen Reiches<br />

Skelette unterschiedlicher genetischer Herkunft.<br />

Zu den besonders vielfältig bevölkerten<br />

Gebieten gehörten Sardinien, der Balkan<br />

und Teile Mittel- und Westeuropas.<br />

Um besser zu verstehen, welche Gebiete<br />

miteinander verbunden waren, führte das<br />

Team eine umfassende Analyse der Knochen -<br />

funde durch, deren genetische Abstammung<br />

nicht mit dem Fundort übereinstimmte – was<br />

Wissenschaft & Technik<br />

Gewaltige Mobilität<br />

im Römischen Reich<br />

Foto: Parco Archeologico di Ostia Antica - archives, Italy<br />

Die monumentale römische Kaisernekropole auf der Isola Sacra (Fiumicino, Rom): Die Nekropole<br />

diente der Stadt Portus, dem Hafen von Rom und damit dem wichtigsten Knotenpunkt<br />

des Handelsnetzes des Reiches. Auch hier wurde Genmaterial erhoben.<br />

darauf hindeutet, daß sie oder ihre jüngsten<br />

Vorfahren gereist oder gewandert waren. „So<br />

konnten wir zeigen, daß es unter den Menschen,<br />

die nicht aus dem Gebiet stammten,<br />

in dem sie gefunden wurden, gemeinsame<br />

Ab stammungsmuster gab“, erklärt Pinhasi.<br />

Menschen, die in Großbritannien und Irland<br />

gefunden wurden, stammten beispielsweise<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit aus Nordoder<br />

Mitteleuropa und weit weniger wahrscheinlich<br />

aus Südwesteuropa oder Nordafrika.<br />

„Die Ausdehnung des Römischen Reichs<br />

war ein gewaltiges Unterfangen, das Tausende<br />

von Truppen mit Handel, Arbeit, Sklaverei<br />

und Zwangsumsiedlung erforderte“, so<br />

Cle mens Weiss, ebenfalls Co-Leiter der Studie,<br />

PhD an der Stanford Medicine und ein<br />

ehemaliger Postdoktorand von Jonathan Prit -<br />

chard, einer der HauptautorInnen der Studie.<br />

„Mit der Ausdehnung des Reiches wurden<br />

immer mehr Menschen angezogen und die<br />

Mobilität über ganze Kontinente hinweg<br />

erhöht“, so Weiss. Während die meisten<br />

Analysen antiker DNA eine Streuung der Be -<br />

völkerung über viele Generationen hinweg<br />

erkennen lassen, zeigen die neuen Ergebnisse,<br />

daß viele Menschen dieser Zeit während<br />

ihres Lebens große Entfernungen<br />

zurücklegten. Die Schlußfolgerung daraus:<br />

„Das waren vermutlich die ersten Menschen<br />

in der Geschichte, die jemals einen ganz Kon -<br />

tinent bereist haben“, erklärt Ron Pinhasi.<br />

»Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at<br />

144<br />

Umfangreiche Datengrundlage<br />

In der Studie wurden vorhandene DNA-<br />

Daten von Tausenden von Skelettfunden aus<br />

dem Römischen Reich sowie aus Mitteleuropa,<br />

Osteuropa und Zentralasien, Großbritannien<br />

und Nordeuropa sowie Nordafrika<br />

analysiert. Zusätzlich sequenzierten die WissenschafterInnen<br />

204 neue Genome aus 53<br />

archäologischen Stätten in 18 Ländern. Die<br />

meisten stammten von Personen, die in der<br />

Zeit des kaiserlichen Roms und der Spätantike,<br />

vom ersten bis zum siebten Jahrhundert<br />

v. u. Z., gestorben sind.<br />

Die neuen Daten gaben den ForscherInnen<br />

jedoch auch ein Rätsel auf: Hätten sich<br />

die Menschen im untersuchten Zeitraum<br />

weiterhin so schnell fortbewegt, wären die<br />

regionalen Unterschiede allmählich verschwunden.<br />

Die Genome der Menschen in<br />

Osteuropa zum Beispiel hätten sich nicht<br />

mehr von denen in Westeuropa und Nordafrika<br />

unterscheiden lassen und umgekehrt.<br />

Die meisten dieser Populationen sind je -<br />

doch – auch heute noch – genetisch unterschiedlich.<br />

Die Hypothese der WissenschafterInnen<br />

dazu: Die Mobilität der Menschen<br />

ging mit dem Zusammenbruch des Römischen<br />

Reiches drastisch zurück. „Es gibt nicht<br />

genügend Daten aus dieser Zeit, um das mit<br />

Sicherheit sagen zu können – das wird nun<br />

Inhalt nachfolgender Studien sein“, so Pinhasi.<br />

n<br />

https://www.univie.ac.at

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