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Ausgabe 210

Das unparteiische, unabhängige Magazin für ÖsterreicherInnen in aller Welt mit dem Schwerpunkt „Österreich, Europa und die Welt“ erscheint vier Mal im Jahr.

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ÖSTERREICH JOURNAL NR. <strong>210</strong> / 18. 04. 2024<br />

Wissenschaft & Technik<br />

Galaxienhaufen auf<br />

die Waage gestellt<br />

154<br />

WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik haben<br />

die kosmologischen Ergebnisse der ersten Röntgen-Himmelsdurchmusterung des<br />

Weltraumteleskops eRosita veröffentlicht.<br />

Im Juli 2019 startete der „Spektrum-Röntgen-Gamma“<br />

Satellit. Mit an Bord: Das<br />

extended ROentgen Survey with an Imaging<br />

Telescope Array, kurz eRosita, ein Weltraumteleskop,<br />

das vom Max-Planck-Institut<br />

für extraterrestrische Physik (MPE) entwikkelt<br />

wurde. Über die vergangenen Jahre fertigte<br />

das Teleskop mit einer bisher nie dagewesenen<br />

Auflösung Röntgenbilder des ge -<br />

samten Himmels an. Durch die Röntgenaufnahmen<br />

wurden etwa 12000 Galaxienhaufen<br />

gefunden. Diese Daten ermöglichen es, kosmologische<br />

Modelle zu überprüfen und dunk -<br />

le Materie und Energie zu erforschen.<br />

Galaxienhaufen bestehen aus bis zu tausenden<br />

Galaxien und sind die größten Strukturen<br />

im Universum, die durch Gravitation<br />

miteinander verbunden sind. Um aus den neu -<br />

en Daten Rückschlüsse auf die Zusammensetzung<br />

des Universums zu ziehen, mußte<br />

die Masse dieser Objekte geschätzt werden.<br />

Dies war die Aufgabe der Arbeitsgruppe um<br />

Tim Schrabback am Institut für Astro- und<br />

Teilchenphysik der Universität Innsbruck.<br />

Tim Schrabbacks Gruppe befaßt sich mit<br />

dem Gravitationslinseneffekt, der die Verzerrung<br />

von Licht durch große Massen<br />

beschreibt und genutzt werden kann, um die<br />

Masse sehr weit entfernter Objekte zu<br />

berechnen. Sebastian Grandis, Senior Scientist<br />

in der Gruppe, erklärt, wie das funktioniert:<br />

Verzerrte Hintergrundgalaxien<br />

„Aus vorherigen Studien wußten wir, daß<br />

diese Galaxienhaufen existieren müssen“,<br />

sagt Grandis. „Mit eRosita haben wir sie<br />

gezielt gesucht und gefunden. Entscheidend<br />

hierfür ist, daß das in den Galaxienhaufen<br />

vorhandene Plasma Röntgenstrahlen aussendet,<br />

weil dort unfaßbar hohe Temperaturen<br />

herrschen – ungefähr 10 Millionen °C. Wir<br />

kennen zunächst nur die Leuchtkraft dieser<br />

Objekte und ihre Entfernung zu uns, die<br />

mehrere Milliarden Lichtjahre beträgt. Hier<br />

kommt der Gravitationslinseneffekt ins<br />

Spiel. Wir analysieren die Form von Galaxien,<br />

die sich hinter den Galaxienhaufen be -<br />

© C.Garrel & M. Kluge.<br />

Vier Galaxienhaufen bei verschiedenen Rotverschiebungen. Blau und Lila stellt die Röntgenintensität<br />

dar, andere Farben die Galaxien im Haufen, die im optischem Licht strahlen. Die<br />

Striche zeigen die mittlere Verzerrung durch den Gravitationslinseneffekt der Galaxienhaufen<br />

im jeweiligen Rotverschiebungsbereich und sind wesentlich verstärkt dargestellt.<br />

finden. Diese erscheinen verzerrt, weil das<br />

Licht der Hintergrundgalaxien auf dem Weg<br />

zu uns von der Schwerkraft der Haufen ab -<br />

gelenkt wurde. Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie<br />

von Einstein können wir dann<br />

die Masse abschätzen, die diese Verzerrung<br />

verursacht hat. Dabei gilt: Je mehr Masse,<br />

desto stärker die Verzerrung.“<br />

Die berechneten Massen der Galaxienhaufen<br />

mit den zuverlässigsten Daten wurden<br />

an das MPE zurückgesendet, wo sie mit<br />

kosmologischen Modellen verglichen wurden,<br />

um Rückschlüsse auf die Entstehung,<br />

Zusammensetzung und Ausbreitung des Universums<br />

zu ziehen.<br />

Einstein hat sich nicht geirrt<br />

Die Ergebnisse von eRosita bestätigen<br />

mit hoher Genauigkeit das Ergebnis vorheriger<br />

Berechnungen, nämlich daß das Universum<br />

zu 29 Prozent aus Materie besteht. Das<br />

Meiste davon ist dunkle Materie, über die<br />

bisher nicht viel bekannt ist. Auch die restlichen<br />

71 Prozent sind eine mysteriöse Komponente:<br />

die dunkle Energie, die erstmals<br />

von Albert Einstein selbst in die kosmologischen<br />

Modelle als „kosmologische Konstante“<br />

eingeführt wurde. Anhand der eRosita<br />

Ergebnisse läßt sich der Parameter „w“ be -<br />

stimmen, dessen gemessener Wert der kosmologischen<br />

Konstante ziemlich genau entspricht.<br />

Einstein hatte seine Hypothese zu<br />

»Österreich Journal« – https://kiosk.oesterreichjournal.at<br />

Lebzeiten wieder verworfen. „Unsere Be -<br />

rechnungen zeigen, daß Einstein doch recht<br />

gehabt hat und es ein Fehler von ihm war,<br />

die kosmologische Konstante später zu verwerfen“,<br />

sagt Grandis. Zu verstehen, was ge -<br />

nau dunkle Energie ist, gehört zu den größten<br />

heutigen Herausforderungen der Physik.<br />

Die Messung der größten Strukturen im<br />

Universum enthält auch Information über<br />

die kleinsten Teilchen. Neutrinos sind elektrisch<br />

neutral und so klein, daß sie sich kaum<br />

nachweisen lassen. Insbesondere ist es derzeit<br />

noch unklar, welche Masse Neutrinos<br />

haben. Das könnte sich durch die eRosita-<br />

Da ten bald ändern. „Die Häufigkeit der Ga -<br />

laxienhaufen bei einer gegebenen Masse und<br />

Entfernung lassen auch Rückschlüsse darauf<br />

zu, wie massereich Neutrinos sind, die frei<br />

durch den Kosmos fliegen und dadurch<br />

einen Einfluß auf seine Entwicklung und<br />

Struktur haben. In Kombination mit anderen<br />

Beobachtungsverfahren ermöglicht es unsere<br />

Analyse, die aktuell genausten Ergebnisse<br />

für den möglichen Massenbereich der Neutrinos<br />

abzuleiten“, sagt Grandis.<br />

Internationale Kooperation<br />

erschließt den Kosmos<br />

Um bei einem Projekt wie eRosita den<br />

größtmöglichen Erfolg zu erzielen, hat interdisziplinäre<br />

und internationale wissenschaftliche<br />

Kooperation eine große Rolle gespielt.

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