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GESELLSCHAFTSVERTRAG

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tragen; aber sobald sie die Waffen niederlegen und sich ergeben, hören sie<br />

auf, Feinde oder Werkzeuge des Feindes zu sein, sie sind wieder einfach Menschen,<br />

und man hat kein Recht auf ihr Leben. Manchmal kann man einen<br />

Staat vernichten, ohne ein einziges seiner Mitglieder zu töten. Der Krieg gibt<br />

daher kein Recht, das nicht für seinen Endzweck notwendig wäre. Bei Grotius<br />

wird man diese Ansichten allerdings nicht finden; sie gründen sich auch nicht<br />

auf die Autorität gewisser Dichter; dafür entsprechen sie der Vernunft und<br />

der Natur der Dinge.<br />

Das Recht des Eroberers ist nicht begründeter als das Recht des Stärkeren.<br />

Wenn der Krieg dem Sieger nicht das Recht gibt, die besiegten Völker<br />

niederzumetzeln, so fehlt auch jede Grundlage für das Recht, sie zu versklaven.<br />

Man ist nur dann berechtigt, den Feind zu töten, wenn man ihn nicht<br />

zum Sklaven machen kann; das Recht, ihn zum Sklaven zu machen, entspringt<br />

also nicht aus dem Recht, ihn zu töten. Es ist also eine Ungerechtigkeit, ihn<br />

um den Preis seiner persönlichen Freiheit sich das Leben erkaufen zu lassen,<br />

auf das man gar kein Recht hat. Wenn man das Recht über Leben und Tod auf<br />

das Recht der Sklaverei gründet und das Recht der Sklaverei auf das Recht<br />

über Leben und Tod, begeht man offenbar einen logischen Fehler.<br />

Erkennen wir einmal das furchtbare Recht an, jeden zu töten, so behaupte<br />

ich, daß ein Kriegssklave oder ein unterworfenes Volk seinem Herrn<br />

nur so weit zu gehorchen braucht, als sie dazu gezwungen werden. Wenn der<br />

Sieger statt des Lebens etwas Ähnliches nimmt, so tut er ihm damit keine<br />

Gnade an; anstatt ihn nutzlos zu töten, hat er ihn mit Nutzen getötet. Außer<br />

dem Übergewicht, das ihm die Stärke verleiht, hat der Sieger keine rechtliche<br />

Macht über ihn; der Kriegszustand dauert zwischen ihnen fort, ihre augenblicklichen<br />

Beziehungen sind ja eine Folge des Krieges. Sie haben ein Übereinkommen<br />

getroffen, das den Krieg keineswegs aufhebt, sondern seine Fortdauer<br />

voraussetzt.<br />

Von welchem Standpunkt aus man die Dinge betrachtet, das sogenannte<br />

Recht der Sklaverei ist nicht bloß deshalb nichtig, weil es unrechtmäßig, sondern<br />

weil es weder Sinn noch Bedeutung hat. "Sklaverei" und "Recht“ sind gegensätzliche<br />

Begriffe; sie schließen sich gegenseitig aus. Handelt es sich um<br />

Beziehungen von einem Menschen zum andern oder von einem Menschen zu<br />

einem Volk, folgender Satz wird immer gleich sinnlos bleiben: "Ich schließe<br />

mit dir einen Vertrag, dessen Lasten allein dir, dessen Nutzen allein mir zufallen,<br />

den ich einhalten werde und du befolgen mußt, solange es mir beliebt."<br />

FÜNFTES KAPITEL<br />

ES IST NOTWENDIG, EINEN GRUNDVERTRAG 1<br />

ANZUNEHMEN<br />

s elbst wenn ich alles, was ich bisher in Abrede gestellt habe, zugeben<br />

würde, wären die Parteigänger des Despotismus damit keinen Schritt<br />

vorwärts gekommen. Denn zwischen der Unterwerfung einer unorganisierten<br />

Masse und der Leitung einer politischen Gemeinschaft besteht ein großer Unterschied.<br />

Sind irgendwann beliebig viele Menschen allmählich einem einzelnen<br />

untertan geworden, so sehe ich darin bloß Beziehungen zwischen Herrn<br />

und Sklaven und nicht zwischen Volk und Oberhaupt, eine Herde, aber keine<br />

1 Im Original “une première convention“<br />

12

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