GESELLSCHAFTSVERTRAG
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aber ohne leidenschaftlich den Sieg zu wollen; sterben können sie besser als<br />
siegen. Was tut es, ob sie Sieger oder Besiegte sind? Weiß die Vorsehung<br />
nicht besser als sie, was ihnen frommt? Man stelle sich vor, wie ein stolzer,<br />
stürmischer, leidenschaftlicher Feind ihren Gleichmut ausnutzen kann! Stellt<br />
ihnen heldenmütige Völker gegenüber, die in glühender Liebe zu Vaterland<br />
und Ehre verzehrt wurden, denkt euch eure christliche Republik Sparta oder<br />
Rom gegenüber. Die frommen Christen werden geschlagen, zerschmettert,<br />
vernichtet, bevor sie Zeit haben, zu sich zu kommen, oder sie verdanken ihre<br />
Rettung nur der Verachtung, die der Feind für sie empfindet. Es war meiner<br />
Ansicht nach ein schöner Eid, den die Soldaten des Fabius 1 leisteten; sie<br />
schwuren nicht, zu sterben oder zu siegen, sondern als Sieger wiederzukommen,<br />
und hielten ihren Eid. Das hätten Christen niemals getan; sie hätten geglaubt,<br />
damit Gott zu versuchen.<br />
Aber es ist falsch, von einer christlichen Republik zu sprechen; beide<br />
Worte schließen sich gegenseitig aus. Das Christentum predigt nur Knechtschaft<br />
und Abhängigkeit. Sein Geist bietet der Gewaltherrschaft Vorteile, die<br />
von ihr immer ausgenutzt werden. Die wahren Christen sind dazu geschaffen,<br />
Knechte zu sein. Sie wissen es, ohne sich darüber zu beunruhigen; dieses kurze<br />
Leben hat in ihren Augen einen zu geringen Wert.<br />
Die christlichen Truppen, entgegnet man uns, sind ausgezeichnet. Das<br />
bestreite ich. Man soll mir welche zeigen. Ich kenne keine christlichen Truppen.<br />
Man wird die Kreuzzüge anführen. Ohne über den Wert der Kreuzfahrer<br />
zu streiten, will ich bemerken, daß sie keine Christen, sondern Soldaten des<br />
Priesters waren, d. h. Bürger der Kirche. Sie schlugen sich für ihr geistiges<br />
Vaterland, das auf irgendeine Weise einen weltlichen Charakter angenommen<br />
hatte. Genau genommen, war es Heidentum. Da das Evangelium keine Nationalreligion<br />
aufrichtet, ist jeder heilige Krieg unter den Christen eine Unmöglichkeit.<br />
Unter den heidnischen Kaisern waren die Christen tapfere Soldaten;<br />
alle christlichen Schriftsteller versichern es, und ich will es glauben 2 . Die<br />
Ehre trieb sie an, sich vor den heidnischen Truppen auszuzeichnen. Sobald<br />
die Kaiser Christen waren, fiel dieser Antrieb fort, und als das Kreuz den Adler<br />
vertrieben hatte, war es mit der römischen Tapferkeit für immer aus. Aber<br />
lassen wir diese politischen Betrachtungen, um in diesem wichtigen Punkt die<br />
rechtlichen Grundlagen festzulegen. Das durch den Gesellschaftsvertrag dem<br />
Träger der Staatsgewalt über die Untertanen verliehene Recht überschreitet,<br />
wie gesagt, nicht die Grenzen der staatlichen Zweckmäßigkeit 3 . Die Untertanen<br />
sind dem Träger der Staatsgewalt über ihre Anschauungen nur Rechenschaft<br />
schuldig, soweit diese die Gemeinschaft angehen 4 . Es geht den Staat<br />
allerdings an, ob jeder Bürger sich zu einer Religion bekennt, die ihn seine<br />
Pflichten lieben lehrt. Aber die einzelnen Dogmen dieser Religion interessieren<br />
den Staat und seine Glieder nur, sofern sie sich auf die Moral und die<br />
Pflichten beziehen, die der Bekenner den anderen gegenüber zu erfüllen hat.<br />
1 Fabius – die Fabier waren ein zahlreiches und angesehenes Patriziergeschlecht. Es könnte Quintus<br />
Fabius Maximus Verrucosus gemeint sein, Politiker und Feldherr im Zweiten Punischen Krieg, † -203<br />
2 Das ist nicht richtig: überzeugte Christen waren Pazifisten und verweigerten den Kriegsdienst. Näheres<br />
bei Karlheinz Deschner “Kriminalgeschichte des Christentums“ Band 1.<br />
3 “In der Republik“, sagt der Marquis d'Argenson, "ist jeder vollkommen frei, sofern er die<br />
anderen nicht schädigt." Das ist die unverrückbare Grenze; man kann sie nicht genauer<br />
ziehen. [JJR]<br />
4 Das ist das große Problem Europas in der Gegenwart: Die Islambonzen erkennen den demokratischen<br />
Staat als solchen nicht an, weil er in diametralem Widerspruch zu ihren Vorstellungen<br />
eines Kalifats steht. Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, dann wird es<br />
gelöst.<br />
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