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GESELLSCHAFTSVERTRAG

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land verbittert, wollte er sich bei Ludwig XIII. 1 , dem sein Buch gewidmet ist,<br />

beliebt machen. Er unterläßt nichts, um den Völkern alle ihre Rechte zu nehmen<br />

und mit möglichster Geschicklichkeit die Könige damit zu bekleiden. Das<br />

wäre auch ganz nach dem Geschmack Barbeyracs gewesen, der seine Übersetzung<br />

König Georg I. 2 von England widmete. Aber leider zwang ihn die Vertreibung<br />

Jakobs II. 3 , die er als Abdankung bezeichnet, vorsichtig zu sein, Ausflüchte<br />

und Winkelzüge zu machen, um Wilhelm 4 nicht als Aufrührer<br />

hinzustellen. Wären die beiden Schriftsteller wahren Grundsätzen beigetreten,<br />

so gingen sie allen Schwierigkeiten aus dem Wege und konnten konsequent<br />

sein. Dann kamen sie aber in die unangenehme Lage, die Wahrheit zu<br />

sagen, und machten sich nur beim Volk beliebt. Durch Wahrheit kommt man<br />

nicht zu Vermögen, und das Volk hat weder Gesandtschaften noch Lehrstühle<br />

noch Jahresgehälter zu vergeben.<br />

A<br />

DRITTES KAPITEL<br />

KANN DER GEMEINWILLE IRREN?<br />

us dem Vorhergesagten folgt, daß der Gemeinwille stets richtig ist und<br />

das allgemeine Wohl bezweckt, aber es folgt nicht, daß die Volksbeschlüsse<br />

immer geradlinig verlaufen. Man will immer sein Bestes, aber man<br />

erkennt es nicht immer. Das Volk läßt sich nie bestechen, aber es läßt sich oft<br />

täuschen, und nur dann scheint es das Schlechte zu wollen.<br />

Oft besteht ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller und dem<br />

Gemeinwillen. Dieser berücksichtigt nur das Gemeininteresse, der andere das<br />

Privatinteresse und besteht nur aus einer Summe von Einzelwillen. Aber zieht<br />

man von diesen Willensäußerungen die stärksten Gegensätze ab, die sich gegenseitig<br />

aufheben 5 , so bleibt als Restsumme der Gemeinwille übrig.<br />

Wenn bei den Beratungen eines hinreichend aufgeklärten Volkes die<br />

Staatsbürger keine Verbindung untereinander hätten, so würde sich der Gemeinwille<br />

immer aus der großen Zahl kleiner Differenzen ergeben, und der<br />

Beschluß wäre immer gut. Aber wenn sich Parteien und Sondergemeinschaften<br />

auf Kosten der großen Gemeinschaft bilden, so wird der Wille jeder dieser<br />

Gemeinschaften seinen Mitgliedern gegenüber allgemein und dem Staat gegenüber<br />

ein Sonderwille. Man kann dann sagen, daß die Zahl der Stimmen<br />

nicht mehr gleich der Kopfzahl, sondern nur gleich der Anzahl der Gemeinschaften<br />

ist. Die Differenzen verringern sich zahlenmäßig und ergeben ein<br />

weniger allgemeines Resultat. Wenn schließlich eine dieser Gemeinschaften<br />

1 Ludwig XIII. - franz. König seit 1610, ernannte 1624 den Kardinal Richelieu zum Minister,<br />

der eine nationale Politik gegen die europäischen Mächte betrieb und erfolgreich die Hugenotten<br />

bekämpfte. † 1643<br />

2 Georg I. - Georg I. Ludwig, 1714 – 1727 König Großbritanniens. Er war als Deutscher weitgehend<br />

unbeliebt, diese subjektive Schwäche nutzte das Parlament, um seine eigene<br />

Macht zu stärken.<br />

3 Jakob II. - der Sohn des 1649 hingerichteten Königs Karl I. Als König von 1685 bis 1688<br />

versuchte er, das Land zu rekatholisieren, wurde deshalb abgesetzt. † 1701<br />

4 Wilhelm III. (Oranien) – Statthalter der Niederlande und seit 1689 englischer König<br />

5 "Jedes Interesse", sagt der Marquis von Argenson, "beruht auf anderen Grundsätzen. Die<br />

Übereinstimmung von zwei Einzelinteressen bildet sich durch den Widerstand gegen ein<br />

drittes." Er hätte hinzufügen können, daß die Übereinstimmung sich durch den Gegensatz<br />

zu jedem einzelnen Interesse bildet. Wenn es keine verschiedenen Interessen gäbe, würde<br />

man das Gemeininteresse gar nicht empfinden, weil es keinen Widerstand fände. Alles<br />

würde von selbst gehen, und die Politik wäre keine Kunst mehr. [JJR]<br />

21

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