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GESELLSCHAFTSVERTRAG

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DRITTES BUCH<br />

B evor ich von den verschiedenen Formen der Regierung spreche, will<br />

ich versuchen, den genauen Sinn dieses Wortes festzulegen, das noch<br />

nicht genügend erklärt ist.<br />

ERSTES KAPITEL<br />

DIE REGIERUNG IM ALLGEMEINEN<br />

ch mache den Leser im voraus darauf aufmerksam, daß dieses Kapitel ge-<br />

I nau gelesen werden muß, und daß ich nicht die Kunst besitze, mich Lesern<br />

verständlich zu machen, die nicht aufmerksam folgen wollen.<br />

Jede freie Handlung hat zwei Ursachen, die gemeinsam ihre Entstehung<br />

bewirken. Die eine ist geistiger Art, nämlich der beschließende Wille; die andere<br />

ist körperlich, nämlich die ausführende Kraft. Wenn ich auf ein Ziel losgehe,<br />

muß ich erst mal gehen wollen; zweitens müssen mich meine Füße hintragen.<br />

Ein Gelähmter, der laufen will, und ein behender Mensch, der es nicht<br />

will, bleiben beide, wo sie sind. Der politische Körper hat die gleichen bewegenden<br />

Kräfte; auch bei ihm unterscheidet man Kraft und Willen, sie heißen<br />

hier gesetzgebende und ausführende Gewalt. Ohne ihr Zusammenwirken geschieht<br />

nichts oder darf nichts geschehen.<br />

Wir haben gesehen, daß die gesetzgebende Gewalt dem Volk zusteht<br />

und nur ihm zustehen kann. Aus den oben entwickelten Grundsätzen ist leicht<br />

abzuleiten, daß dagegen der Gesamtheit als Gesetzgeberin und Träger der<br />

Staatsgewalt nicht die ausführende Gewalt zukommt. Denn sie besteht nur in<br />

einzelnen Rechtshandlungen, die nicht in den Bereich des Gesetzes, folglich<br />

auch nicht in den Bereich des Trägers der Staatsgewalt fallen, dessen Handlungen<br />

nur in Gesetzen bestehen können.<br />

Die Staatsgewalt braucht also ein besonderes Organ, das alle Kräfte zusammenfaßt<br />

und in der Richtung des Gemeinwillens in Tätigkeit setzt; das ferner<br />

die Verbindung zwischen dem Staat und dem Träger der Staatsgewalt<br />

herzustellen hat und bei der Person des Staates so wirkt wie die Vereinigung<br />

von Leib und Seele im Menschen. Hieraus ist im Staate die Rolle der Regierung<br />

abzuleiten, die manchmal mit dem Träger der Staatsgewalt verwechselt<br />

wird, aber nur ihr Diener ist.<br />

Was ist also die Regierung? Das Mittelglied zwischen den Untertanen<br />

und dem Träger der Staatsgewalt, das die Verbindung herstellen, die Gesetze<br />

ausführen und die bürgerliche wie politische Freiheit wahren soll.<br />

Die Glieder dieser Körperschaft heißen Behörden oder Könige, d. h. Regierende;<br />

die ganze Körperschaft führt den Namen Fürst 12 . Wer also behauptet,<br />

der Akt, durch den sich ein Volk seinem Oberhaupt unterwirft, sei kein<br />

Vertrag, hat vollkommen recht. Es ist nur ein Auftrag, ein Amt, in dem einfache<br />

Beamte des Trägers der Staatsgewalt die Macht ausüben, die er ihnen<br />

übertragen hat; er kann sie beschränken, abändern, zurücknehmen, sobald es<br />

ihm beliebt. Denn die Veräußerung dieses Rechts ist mit dem Wesen des<br />

1 So wird in Venedig das Regierungskollegium "durchlauchtigster Fürst" angeredet, auch<br />

wenn der Doge nicht anwesend ist. [JJR]<br />

2 Im Original “Les membres de ce corps s'appelent ou rois, c'est-à-dire gouverneurs et le corps entier<br />

porte le nom prince.“<br />

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