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GESELLSCHAFTSVERTRAG

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Aber als die Juden von den babylonischen und später von den syrischen<br />

Königen unterworfen waren und hartnäckig daran festhielten, keinen anderen<br />

Gott anzuerkennen, wurde diese Weigerung als Empörung gegen den Sieger<br />

aufgefaßt; sie zog ihnen die aus der Geschichte bekannten Verfolgungen zu,<br />

die vor dem Christentum ohne Beispiel sind.<br />

Jede Religion war also nur an die Staatsgesetze gebunden, von denen<br />

sie vorgeschrieben war. Man konnte ein Volk nur bekehren, wenn man es unterwarf,<br />

es gab keine anderen Missionare als die Eroberer, und die Verpflichtung,<br />

die Religion zu wechseln, war das Gesetz, das dem Besiegten auferlegt<br />

wurde; man mußte also erst siegreich sein, bevor man bekehren konnte. Die<br />

Menschen kämpften keineswegs für die Götter, sondern, wie bei Homer,<br />

kämpften die Götter für die Menschen. Jeder bat seinen Gott um den Sieg und<br />

bezahlte diesen mit neuen Altären. Bevor die Römer eine Festung einnahmen,<br />

forderten sie die Götter auf, die Stadt zu verlassen. Den Tarentinern ließen<br />

sie ihre erzürnten Götter in dem Glauben, diese Gottheiten wären ihren eigenen<br />

Göttern unterworfen und zur Huldigung gezwungen. Sie ließen dem Besiegten<br />

ihre Götter genau so wie ihre Gesetze. Eine Krone für den Jupitertempel<br />

auf dem Kapitol verlangten sie oft als einzigen Tribut.<br />

Mit der Ausdehnung des Reiches verbreiteten die Römer auch ihren<br />

Kultus und ihre Götter. Oft nahmen sie auch die Götter der Besiegten an und<br />

erkannten beiden das Bürgerrecht zu. Schließlich kamen die Völker des<br />

großen römischen Reiches in den Besitz einer Menge von Gottheiten und Kulten,<br />

die überall die gleichen waren. So wurde aus dem Heidentum der damals<br />

bekannten Welt eine einzige gleiche Religion.<br />

Unter solchen Verhältnissen errichtete Jesus sein geistiges Reich auf<br />

Erden. Kultus und Staat wurden getrennt, die Einheit des Staates aufgehoben;<br />

innere Spaltungen bildeten sich, die seitdem die christlichen Völker dauernd<br />

in Unruhe hielten. Diesen neuen Gedanken eines jenseitigen Reiches 1<br />

konnten die Heiden niemals begreifen; sie sahen in den Christen immer Empörer,<br />

die unter der Maske des Gehorsams nur auf den geeigneten Augenblick<br />

warteten, um sich zu befreien, zu herrschen und die Macht, für die sie in ihrer<br />

Schwäche Achtung heuchelten, geschickt an sich zu reißen 2 . Das gab den Anlaß<br />

zu den Christenverfolgungen.<br />

Was die Heiden befürchtet hatten, ist eingetroffen. Alles bekam ein anderes<br />

Gesicht, die demütigen Christen führten eine andere Sprache, und bald<br />

wurde aus dem angeblichen Reich des Jenseits die härteste Gewaltherrschaft<br />

im Diesseits unter einem sichtbaren Oberhaupt.<br />

Da es aber immer Fürsten und staatliche Gesetze gegeben hat, führte<br />

diese zweifache Macht zu einem ständigen Rechtsstreit, der in den christlichen<br />

Staaten eine gesunde staatliche Ordnung unmöglich machte. Niemals<br />

hat man sich vollkommen darüber klar werden können, ob man dem Fürsten<br />

oder dem Priester zum Gehorsam verpflichtet war.<br />

Mehrere Völker in Europa und an den Grenzen Europas wollten das alte<br />

System beibehalten oder wiederherstellen, allerdings ohne Erfolg. Der Geist<br />

des Christentums hat immer gesiegt. Das Kirchenwesen behielt seine Unabhängigkeit<br />

von dem Träger der Staatsgewalt oder gewann sie zurück; die notwendige<br />

Verbindung mit dem Staatskörper war nicht vorhanden. Mohammed<br />

1 „Mein Reich ist nicht von dieser Welt (Joh 18.36)“ sagt Jesus von Nazareth, „wohl aber<br />

mein Reichtum“ sagt der Papst.<br />

2 Wenn man sich den atemberaubenden Vorgang, wie sich das Christentum im 4. Jahrhundert<br />

innerhalb zweier Generationen von einer verfolgten zu einer verfolgenden Kirche<br />

wandelte, vergegenwärtigt, dann kann man diesen Befürchtungen nur zustimmen. Toleranz<br />

und Neutralität sind Schwäche und der wohlfeilste Weg der Feigheit.<br />

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