GESELLSCHAFTSVERTRAG
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Personen, und der Staat, ebenso gespalten wie die Regierung, geht unter oder<br />
verändert seine Form.<br />
Löst sich der Staat auf, so wird die durch den Mißbrauch entstandene<br />
Regierungsform allgemein als Anarchie 1 bezeichnet. Will man noch weiter<br />
unterscheiden, so kann man sagen, die Demokratie artet in Pöbelherrschaft,<br />
die Aristokratie in Oligarchie aus. Ich könnte noch hinzufügen, daß die Monarchie<br />
in Tyrannei ausartet, wenn das Wort nicht zweideutig wäre und einer<br />
Erklärung bedürfte.<br />
Im gewöhnlichen Sinn ist der Tyrann ein Monarch, der gewalttätig und<br />
ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit und Gesetze regiert. Im engeren Sinn ist<br />
der Tyrann ein Privatmann, der sich widerrechtlich monarchische Gewalt anmaßt.<br />
So faßten die Griechen das Wort auf; sie bezeichneten damit unterschiedslos<br />
gute und schlechte Fürsten, deren Macht keine rechtmäßige war 2 .<br />
Tyrann und Usurpator sind also vollkommen gleichbedeutende Wörter. Um<br />
verschiedene Dinge auch verschieden zu bezeichnen, nenne ich den Usurpator<br />
der monarchischen Macht einen Tyrannen und den Usurpator der Staatsgewalt<br />
einen Despoten. Folglich braucht ein Tyrann kein Despot zu sein, aber<br />
ein Despot ist immer ein Tyrann.<br />
E<br />
ELFTES KAPITEL<br />
DER TOD DES STAATSKÖRPERS<br />
r ist das natürliche und unvermeidliche Schicksal auch der bestorganisierten<br />
Regierungen. Kein Staat kann hoffen, ewig zu bestehen; auch<br />
Rom und Sparta sind untergegangen. Wenn man Erfolg haben will, darf man<br />
nichts Unmögliches versuchen, noch sich einreden, einem menschlichen Werk<br />
eine Festigkeit zu geben, die mit menschlichen Verhältnissen unvereinbar ist.<br />
Der Staatskörper beginnt seinen Tod wie der menschliche Körper mit<br />
der Geburt und trägt die Keime seiner Vernichtung in sich. Aber beide können<br />
eine verschiedene Widerstandsfähigkeit besitzen, die den Körper verschieden<br />
lange erhält. Die Widerstandskraft des Menschen ist die Wirkung der Natur,<br />
die des Staates die Wirkung der Staatskunst. Es hängt nicht von den Menschen<br />
ab, ihr Leben zu verlängern, aber es liegt in ihrer Macht, das Leben des<br />
Staates durch die bestmögliche Verfassung so sehr wie möglich zu verlängern.<br />
Auch der besteingerichtete Staat wird mal ein Ende nehmen, aber später<br />
als ein anderer, wenn nicht ein unvorhergesehener Zufall seinen vorzeitigen<br />
Untergang herbeiführt.<br />
Das Prinzip allen politischen Lebens ist die Staatsgewalt. Die gesetzgebende<br />
Gewalt ist das Herz des Staates, die ausübende das Hirn, das alle Teile<br />
in Bewegung setzt. Das Hirn kann gelähmt werden, während das Individuum<br />
weiter lebt. Der Mensch bleibt blödsinnig, aber am Leben. Stellt jedoch das<br />
Herz seine Tätigkeit ein, so muß der Tod eintreten.<br />
1 Anarchie – der Begriff wird aus ideologischen Gründen immer mit absolutem Chaos und<br />
Gesetzlosigkeit gleichgesetzt. Anarchie bedeutet aber in Wirklichkeit eine (utopische)<br />
Staatsform, in dem sich alle vernünftig verhalten und deshalb keine Gesetze brauchen.<br />
2 "Als Tyrann gilt jeder, der die dauernde Gewalt in einem früher freien Staate besitzt" (Cornelins<br />
Nepos, Miltiades). — Allerdings unterscheidet Aristoteles zwischen Tyrann und König;<br />
nach ihm regiert der erste zu seinem eigenen Vorteil und der zweite nur zum Vorteil<br />
seiner Untertanen. Aber alle griechischen Schriftsteller haben das Wort in einem anderen<br />
Sinn gebraucht, wie es besonders aus Xenophons Hiero hervorgeht, und dann müßte man<br />
aus der Unterscheidung des Aristoteles folgern, daß es seit Anfang der Welt keinen einzigen<br />
König gegeben hat. [JJR]<br />
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