GESELLSCHAFTSVERTRAG
GESELLSCHAFTSVERTRAG
GESELLSCHAFTSVERTRAG
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
von Natur nicht gleich, die einen werden zum Herrschen, die andern zum Dienen<br />
geboren.<br />
Aristoteles hatte recht, nur verwechselte er Ursache und Wirkung. Wer<br />
in der Sklaverei geboren wird, bleibt Sklave, das steht fest. Der Sklave in Ketten<br />
verliert alles, selbst den Wunsch, sie loszuwerden, er liebt seine Kette wie<br />
die Gefährten des Odysseus ihre Vertierung. Wenn es also geborene Sklaven<br />
gibt, so doch nur im Widerspruch mit der Natur. Die Gewalt hat den Sklaven<br />
geschaffen, die Feigheit ihn verewigt.<br />
Ich habe weder König Adam erwähnt noch Kaiser Noah, dessen drei<br />
Söhne die Welt unter sich aufgeteilt haben wie die Kinder Saturns, mit denen<br />
man sie gleichsetzen wollte. Hoffentlich wird man diese Zurückhaltung loben;<br />
denn vielleicht stamme ich in gerader Linie von einem Herrscher ab, und<br />
wenn ich meine Ansprüche erhärte, könnte ich mich schließlich als rechtmäßiger<br />
König der Menschheit entpuppen. Jedenfalls kann man nicht leugnen, daß<br />
Adam nur so lange die Welt beherrschte und Robinson 1 seine Insel, wie sie<br />
beide die einzigen Bewohner waren. Dieses Reich hatte eine weitere Annehmlichkeit:<br />
Der Herrscher saß sicher auf seinem Thron und brauchte weder Aufruhr<br />
noch Krieg, noch Verschwörungen zu fürchten.<br />
D<br />
DRITTES KAPITEL<br />
DAS RECHT DES STÄRKEREN<br />
er Stärkste ist nur dann stark genug, Herr zu bleiben, wenn er aus seiner<br />
Gewalt ein Recht, aus dem Gehorsam eine Pflicht zu machen versteht.<br />
Daher stammt der Ausdruck "Recht des Stärkeren". "Recht" ist hier nur<br />
scheinbar ironisch gebraucht, in Wirklichkeit als Grundsatz anerkannt. Aber<br />
solches Schlagwort kann man niemals erklären. Stärke liegt im Bereich des<br />
Körperlichen; ich sehe nicht ein, welche geistige oder sittliche Wirkung sie<br />
haben sollte. Der Gewalt weichen ist ein Akt der Not, nicht des freien Willens,<br />
höchstens der Klugheit. Wie erhält er den Sinn einer Pflicht?<br />
Doch nehmen wir einmal an, es gäbe dies angebliche Recht. Die Folge<br />
wäre ein unentwirrbares Durcheinander. Denn sobald die Gewalt ein Recht zu<br />
begründen vermag, werden Ursache und Wirkung vertauscht. Jede neue Gewalt,<br />
die die erste überwindet, tritt in deren Rechte ein. Wer ungestraft den<br />
Gehorsam verweigert, ist dazu berechtigt; und da der Stärkere immer recht<br />
behält, hat man sich nur zu bemühen, der Stärkere zu sein. Ein Recht, das mit<br />
der rohen Gewalt erlischt, kann aber kein Recht sein. Wer aus Zwang gehorchen<br />
muß, braucht nicht aus Pflicht zu gehorchen; und wenn jemand nicht<br />
mehr gezwungen ist, zu gehorchen, ist er auch nicht mehr verpflichtet. Es ist<br />
also klar, daß durch das Wort "Recht" dem Begriff der Stärke nichts hinzugefügt<br />
wird; es ist in diesem Zusammenhang vollständig bedeutungslos.<br />
Man sagt: Gehorcht den Gewalten! Wenn das bedeuten soll: weicht dem<br />
Starken, so ist die Vorschrift gut, aber überflüssig; sie wird niemals übertreten<br />
werden. Jede Gewalt kommt von Gott, gut; aber jede Krankheit auch. Soll<br />
man deshalb keinen Arzt holen dürfen? Wenn mich ein Räuber mitten im Wald<br />
überfällt, bin ich nur gezwungen, ihm meine Börse zu überlassen, oder bin ich<br />
auch dazu verpflichtet, wenn ich sie ihm unterschlagen kann? Denn schließlich<br />
ist der Revolver in der Hand des Räubers auch eine Gewalt.<br />
1 “Robinson Crusoe“, Roman von Daniel Defoe, 1719<br />
9