GESELLSCHAFTSVERTRAG
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Je geringer nun der Wille der einzelnen im Verhältnis zum Gemeinwillen<br />
ist, d. h. der Neigungen im Verhältnis zum Gesetz, um so mehr muß die bändigende<br />
Kraft zunehmen. Eine gute Regierung muß also verhältnismäßig stärker<br />
sein, je größer die Volkszahl ist.<br />
Andrerseits bietet die Vergrößerung des Staates den Beauftragten der<br />
staatlichen Gewalt mehr Anreiz und Mittel, ihre Macht zu mißbrauchen. Je<br />
größer die Kraft der Regierung sein muß, um das Volk in den Grenzen seiner<br />
Pflicht zu halten, desto größer muß die des Trägers der Staatsgewalt gegenüber<br />
der Regierung sein. Ich spreche hier nicht von einer unbeschränkten<br />
Macht, sondern von der bedingten Macht der einzelnen Teile des Staates.<br />
Aus dem zweifachen Verhältnis folgt, daß die stetige Proportion zwischen<br />
dem Träger der Staatsgewalt, dem Fürsten und dem Volk kein willkürlicher<br />
Begriff ist, sondern aus dem Wesen des Staatskörpers notwendig folgt.<br />
Ferner folgt daraus: da eins der äußeren Glieder, und zwar das Volk, als Untertan<br />
unveränderlich ist und durch den Einer dargestellt wird, so muß, sooft<br />
das doppelte Verhältnis zu- oder abnimmt, auch das einfache in gleicher Weise<br />
zu- oder abnehmen, und folglich das mittlere Glied verändert werden. Das<br />
beweist, daß es nicht nur eine einzige und alleingültige Regierungsform gibt,<br />
sondern daß es ebensoviel verschiedenartige Regierungen geben muß, wie es<br />
verschieden große Staaten gibt.<br />
Man kann dies System dadurch lächerlich machen, daß man sagt: um<br />
die mittlere Proportionale zu finden und den Regierungskörper zu bilden,<br />
braucht man nach meiner Angabe nur die Quadratwurzel aus der Volkszahl zu<br />
ziehen. Darauf erwidere ich, daß ich diese Zahl nur als Beispiel verwende. Die<br />
Verhältnisse, von denen ich spreche, lassen sich nicht nur nach der Zahl der<br />
Menschen berechnen, sondern allgemein nach der Summe der Tätigkeit, die<br />
sich aus vielen Ursachen ergibt. Um mich kürzer auszudrücken, habe ich<br />
einen Augenblick mathematische Ausdrücke angewandt. Ich weiß sehr gut,<br />
daß mathematische Genauigkeit auf geistige Größen keine Anwendung findet.<br />
Die Regierung ist im kleinen, was der Staatskörper, in dem sie enthalten<br />
ist, im großen ist: eine geistige, mit verschiedenen Fähigkeiten ausgestattete<br />
Person; sie ist aktiv wie der Träger der Staatsgewalt und passiv wie der<br />
Staat und läßt sich in andere ähnliche Verhältnisse zerlegen. Daraus entsteht<br />
folglich eine neue Proportion, und in dieser wieder eine andere, entsprechend<br />
dem Instanzenweg. Schließlich gelangt man zu einem unteilbaren Mittelglied,<br />
d. h. einem einzigen Oberhaupt oder einer höchsten Behörde, die man sich in<br />
dieser Reihe als den Einer zwischen der Reihe der Brüche und der Zahlen vorstellen<br />
kann.<br />
Um uns nicht durch Vermehrung der Ausdrücke zu verwirren, wollen<br />
wir uns damit begnügen, die Regierung als einen neuen Körper im Staate zu<br />
betrachten, verschieden vom Volk und vom Träger der Staatsgewalt und Mittelglied<br />
zwischen beiden.<br />
Zwischen den beiden Körpern besteht der wesentliche Unterschied, daß<br />
der Staat durch sich selbst besteht und die Regierung nur durch den Träger<br />
der Staatsgewalt. Der herrschende Wille des Fürsten ist also nichts weiter<br />
oder sollte nichts weiter sein als der Gemeinwille oder das Gesetz; seine Gewalt<br />
ist nur die in ihm gesammelte Macht der staatlichen Gewalt. Sobald er<br />
einen unbedingten und unabhängigen Akt von sich aus vornehmen will, lockert<br />
sich die Verbindung des Ganzen. Tritt endlich der Fall ein, daß der<br />
Fürst einen besonderen Willen hat, tätiger als der des Trägers der Staatsgewalt,<br />
und er, um diesem Sonderwillen nachzugeben, die Staatsgewalt, die in<br />
seine Hände gegeben ist, benutzt, so daß es sozusagen zwei Träger der<br />
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