GESELLSCHAFTSVERTRAG
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Ohne hier zu entscheiden, ob diese dritte Einteilung an sich gut oder<br />
schlecht war, glaube ich behaupten zu können, daß sie nur möglich war bei<br />
den einfachen Sitten der ersten Römer, bei ihrer Selbstentäußerung, ihrer<br />
Neigung zur Landwirtschaft, ihrer Verachtung für Handel und Gewinngier.<br />
Bei einem modernen Volk hätten verzehrende Habsucht, unruhiger Geist, Intrige,<br />
dauernde Veränderung des Wohnsitzes und ständige Umschichtung der<br />
Vermögen eine solche Ordnung nicht zwanzig Jahre dauern lassen, ohne den<br />
Staat zu erschüttern. Man muß dabei wohl beachten, daß Moral und Disziplin<br />
stärker als die Verfassung das Laster in Rom züchtigten; mancher Reiche<br />
wurde in die Klasse der Armen versetzt, wenn er von seinem Reichtum einen<br />
zu auffälligen Gebrauch machte.<br />
Das alles erklärt leicht, warum niemals mehr als fünf Klassen erwähnt<br />
wurden, während es tatsächlich sechs gab. Die Mitglieder der sechsten<br />
dienten nicht im Heere und stimmten auch nicht auf dem Marsfeld ab 1 ; man<br />
hatte in der Republik für sie kaum eine Verwendung, und selten galten sie<br />
überhaupt etwas.<br />
Das waren die verschiedenen Einteilungen des römischen Volkes. Betrachten<br />
wir jetzt ihre Wirkung in den Versammlungen. Die gesetzmäßig einberufenen<br />
Versammlungen hießen Komitien; sie wurden gewöhnlich auf dem<br />
Forum oder auf dem Marsfeld abgehalten und je nach ihrer Anordnung in Komitien<br />
nach Kurien, Komitien nach Zenturien und Komitien nach Tribus eingeteilt.<br />
Die Komitien nach Kurien waren eine Einrichtung des Romulus, die nach<br />
Zenturien gingen auf Servius und die nach Tribus auf die Volkstribunen zurück.<br />
Nur in den Komitien wurden die Gesetze bestätigt und die Beamten gewählt;<br />
und da jeder Staatsbürger in eine Kurie, eine Zenturie oder eine Tribus<br />
eingetragen war, war keiner vom Stimmrecht ausgeschlossen, und das römische<br />
Volk war tatsächlich und von Rechts wegen der wahre Träger der Staatsgewalt.<br />
Damit die Komitien sich gesetzmäßig versammelten und ihre Entschlüsse<br />
Gesetzeskraft hatten, waren drei Bedingungen zu erfüllen: erstens mußte<br />
die Körperschaft oder der Beamte, der sie einberief, die notwendige Befugnis<br />
dazu besitzen; zweitens mußte die Versammlung an einem gesetzlich zulässigen<br />
Tage zusammentreten, und drittens mußten die Vorzeichen günstig sein.<br />
Die erste Vorschrift braucht nicht begründet zu werden. Die zweite ist<br />
eine reine Verwaltungsmaßnahme; so war es nicht erlaubt, die Komitien an<br />
Fest- und Markttagen zu berufen, an denen die Landleute in eigenen Geschäften<br />
nach Rom kamen und keine Zeit hatten, den Tag auf dem Forum zu verbringen.<br />
Durch die dritte Vorschrift versuchte der Senat ein stolzes und unruhiges<br />
Volk zu zügeln und im Notfall die Leidenschaft der aufrührerischen<br />
Tribunen zu mildern; aber diese fanden mehr als ein Mittel, um sich von dieser<br />
Fessel zu befreien.<br />
Gesetzgebung und Wahl der Beamten waren nicht die einzigen Dinge,<br />
die der Entscheidung der Komitien unterlagen. Das römische Volk hatte die<br />
wichtigsten Tätigkeiten der Regierung übernommen, und man kann sagen,<br />
daß das Schicksal Europas in seinen Versammlungen entschieden wurde. Die<br />
Verschiedenheit der Gegenstände gab zu den verschiedenen Formen dieser<br />
Versammlungen den Anlaß, je nach den Fragen, die man zu entscheiden hatte.<br />
1 Ich sage auf dem Marsfeld, weil dort sich die Komitien nach Zenturien versammelten, in<br />
den beiden anderen Formen [nämlich die Tribus und die Ritterzenturien] versammelte sich<br />
das Volk auf dem Forum oder sonstwo, und dann hatten die ganz Besitzlosen ebensoviel<br />
Einfluß und Macht wie die angesehensten Staatsbürger. [JJR]<br />
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