GESELLSCHAFTSVERTRAG
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ihre Stimme so wenig als Staatsbürger ab, als wenn der Staat niemals bestanden<br />
hätte. Dann werden ungerechte Verordnungen, die nur Sonderinteressen<br />
bezwecken, mißbräuchlich als Gesetze bezeichnet 1 .<br />
Folgt daraus, daß der Gemeinwille vernichtet oder verdorben ist? Nein;<br />
er ist immer derselbe, unveränderlich und rein, aber er ist andern untergeordnet,<br />
die ihn verdrängen. Jeder trennt sein Interesse von dem Gemeininteresse<br />
ab, ohne es vollkommen von ihm unabhängig machen zu können; aber<br />
sein Anteil an dem Leiden des Staates bedeutet ihm nichts bei dem Gedanken<br />
an den persönlichen Vorteil, den er sich aneignen will. Von seinem persönlichen<br />
Vorteil abgesehen, will er das Gemeinwohl in seinem eigenen Interesse,<br />
ebenso stark wie jeder andere. Selbst wenn er seine Stimme gegen Geld verkauft,<br />
tötet er den Gemeinwillen in sich nicht ab, er betrügt ihn nur. Der Fehler,<br />
den er begeht, liegt in der veränderten Fragestellung; er antwortet auf etwas,<br />
wonach man ihn nicht fragt. Anstatt bei der Abstimmung zu erklären: Es<br />
ist für den Staat vorteilhaft, sagt er: Es ist für den Menschen oder die Partei<br />
vorteilhaft, daß der oder jener Vorschlag durchgeht. Somit verlangt die staatliche<br />
Ordnung nicht, in den Versammlungen den Gemeinwillen aufrechtzuerhalten,<br />
sondern dafür zu sorgen, daß er immer befragt wird und auch immer<br />
eine Antwort gibt.<br />
Hier ließen sich noch viele Betrachtungen anstellen über das einfache<br />
Recht, bei jedem Akt der Staatsgewalt seine Stimme abzugeben, ein Recht,<br />
das den Staatsbürgern durch nichts genommen werden kann; ferner über das<br />
Recht, seine Meinung zu äußern 2 , Anträge zu stellen, anderer Meinung zu<br />
sein und zu diskutieren, was die Regierung ängstlich ihren eigenen Mitgliedern<br />
vorzubehalten sucht; aber dieser wichtige Stoff verlangt eine besondere<br />
Abhandlung, und hier fehlt es mir dazu an Raum.<br />
M<br />
ZWEITES KAPITEL<br />
DAS STIMMRECHT<br />
an ersieht aus dem vorhergehenden Kapitel, daß die Art und Weise,<br />
mit der die öffentlichen Angelegenheiten behandelt werden, ein ziemlich<br />
sicheres Kennzeichen für den herrschenden Geist und den Gesundheitszustand<br />
des Staatskörpers abgibt. Je größer die Einigkeit ist, die in den Versammlungen<br />
herrscht, d. h. je mehr sich die Ansichten der Einstimmigkeit<br />
nähern, um so mehr herrscht auch der Gemeinwille vor; aber lange Debatten,<br />
Uneinigkeit, Kampf der Leidenschaften kündigen das Vorherrschen von Son-<br />
derinteressen und den Niedergang des Staates an.<br />
Das wird weniger deutlich, wenn die Verfassung zwei oder mehr Stände<br />
unterscheidet, wie in Rom die Patrizier und Plebejer, deren Streitigkeiten oft<br />
die Volksversammlung störten, selbst in den besten Zeiten der Republik. Aber<br />
diese Ausnahme ist mehr scheinbar als tatsächlich; denn in diesem Falle hat<br />
man infolge einer mangelhaften Organisation sozusagen zwei Staaten in ei-<br />
1 Das kommentiere ich nicht. Möge die Geschichte die Milliarden, die heute (2011) anderen Ländern<br />
geschenkt werden begründen und sie wieder herbeischaffen.<br />
2 Die Feinde der Meinungsfreiheit versuchen immer wieder, diese zu unterdrücken. Dazu<br />
werden gern die gutmenschlichen Kloakenparolen wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus,<br />
Populismus, Islamfeindlichkeit usw. herangezogen. Eine sachliche Diskussion findet nicht<br />
statt. In den Niederlanden steht gegenwärtig (Mai 2011) der Parlamentarier und Parteivorsitzende<br />
Geerd Wilders vor Gericht, weil er den Koran mit Adolf Hitlers „Mein Kampf“<br />
gleichsetzt. Jeder, der sich in beiden Büchern etwas auskennt, muß ihm recht geben.<br />
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