GESELLSCHAFTSVERTRAG
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eingehen kann, ist hier nicht anwendbar; denn es besteht ein großer Unterschied<br />
darin, ob ich mich gegen mich selbst als Individuum verpflichte oder<br />
einem Ganzen gegenüber, von dem ich ein Teil bin.<br />
Zu bemerken wäre noch, daß der öffentliche Beschluß, der alle Untertanen<br />
mit Rücksicht auf ihren zweifachen Charakter dem Träger der Staatsgewalt<br />
gegenüber verpflichtet, aus dem entgegengesetzten Grunde den Träger<br />
der Staatsgewalt nicht gegen sich selbst verpflichten kann; es widerspricht<br />
somit der Natur des Staates, daß der Träger der Staatsgewalt sich ein Gesetz<br />
auferlegt, das er nicht übertreten kann. Er kennt nur eine einzige Beziehung<br />
und ist in dem Fall eines Privatmanns, der mit sich selbst ein Vertragsverhältnis<br />
eingeht; daraus folgt, daß es überhaupt für den Staat kein unbedingtes<br />
Grundgesetz gibt, noch geben kann, daß auch der Gesellschaftsvertrag diese<br />
Eigenschaft nicht hat. Womit nicht gesagt ist, daß der Staat nicht Verpflichtungen<br />
gegen andere übernehmen kann, sofern sie nicht den Vertrag berühren;<br />
denn einem fremden Staat gegenüber wird er ein einfaches Wesen, ein<br />
Individuum.<br />
Die Existenz des Staates oder des Trägers der Staatsgewalt ist an die<br />
Unverletzlichkeit des Vertrages gebunden; beide können daher Dritten gegenüber<br />
keine Verpflichtungen eingehen, die dem ursprünglichen Akt irgendwie<br />
widersprechen, wie zum Beispiel sich eines Teils ihres Selbst entäußern oder<br />
sich einem andern Träger der Staatsgewalt unterwerfen. Wenn sie den Akt<br />
verletzen, auf dem ihre Existenz beruht, vernichten sie sich selbst und machen<br />
sich zu weiterer Existenz unfähig.<br />
Sobald nun die Vielheit zu einem Körper vereinigt ist, berührt die einem<br />
Mitgliede zugefügte Rechtsverletzung zugleich die ganze Gemeinschaft, und<br />
umgekehrt; Pflicht und Interesse nötigen beide Partner gleichmäßig zu gegenseitiger<br />
Hilfe, alle müssen sich bemühen, in zweifacher Hinsicht jeden<br />
Vorteil aus dieser Verbindung zu ziehen.<br />
Da der Träger der Staatsgewalt nur durch die einzelnen existiert, die in<br />
ihm vereinigt sind, so kann sein Interesse nicht mit ihrem kollidieren; folglich<br />
braucht für die Staatsgewalt keiner bei den Untertanen zu bürgen, weil den<br />
Körper unmöglich seine Glieder schädigen werden; und wir werden nachher<br />
sehen, daß er auch keinen einzigen schädigen kann. Der Träger der Staatsgewalt<br />
ist schon infolge seiner Existenz vollkommen das, was er sein soll.<br />
Anders ist das Verhältnis zwischen Untertan und Träger der Staatsgewalt.<br />
Denn trotz gemeinsamer Interessen muß dieser sicher sein, daß die eingegangenen<br />
Verpflichtungen auch gewissenhaft erfüllt werden. Denn tatsächlich<br />
kann jedes Individuum, als Mensch betrachtet, einen eigenen Willen<br />
haben, der im Widerspruch steht mit dem Gemeinwillen, den er als Bürger<br />
hat, oder wenigstens von ihm abweicht. Sein Privatinteresse kann andere Forderungen<br />
an ihn stellen als das Gemeininteresse. Infolge seiner unabhängigen<br />
und freiwilligen Existenz kann er seine Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit<br />
als eine freiwillige Leistung betrachten, deren Verlust den andern<br />
weniger schadet, als ihm die Erfüllung lästig fällt. Er kann die juristische Person,<br />
d. h. den Staat, als ein nur gedachtes Wesen ansehen, weil er keine physische<br />
Person ist, und hätte alle Rechte eines Bürgers ohne dessen Pflichten.<br />
Eine solche ungerechte Handlung würde, wenn sie weiter um sich griffe, den<br />
Staat vernichten.<br />
Der Gesellschaftsvertrag enthält daher, um nicht bloß eine leere Form<br />
zu sein, folgende selbstverständliche, wenn auch nicht ausdrücklich angeführte<br />
Verpflichtung, auf der alle andern beruhen: Wer dem Gemeinwillen den<br />
schuldigen Gehorsam verweigert, wird durch den Staat zum Gehorsam ge-<br />
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