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GESELLSCHAFTSVERTRAG

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zwungen; mit andern Worten, man wird ihn zwingen, frei zu sein, denn nur<br />

unter dieser Bedingung wird jedem Bürger, der sich dem Vaterlande zur Verfügung<br />

stellt, seine persönliche Unabhängigkeit gewährleistet. Nur durch diese<br />

Bedingung wird die Maschine Staat in Gang erhalten und bekommen die<br />

Verpflichtungen innerhalb des Staates ihren rechtlichen Charakter, die sonst<br />

sinnlos, ungerecht und den größten Mißbräuchen unterworfen wären.<br />

D<br />

ACHTES KAPITEL<br />

DER STAATSBÜRGERLICHE ZUSTAND<br />

er Übergang vom ungebundenen zum staatsbürgerlichen Zustand bringt<br />

für den Menschen wesentliche Veränderungen mit sich; statt des Instinkts<br />

bestimmt jetzt die Gerechtigkeit seine Handlungen und gibt ihnen den<br />

sittlichen Charakter, der ihnen bisher fehlte. Anstatt dem physischen Trieb<br />

folgt er jetzt der Pflicht, das Recht tritt an die Stelle der Neigungen, der<br />

Mensch, der früher nur auf sich selbst Rücksicht genommen hatte, sieht sich<br />

gezwungen, nach anderen Grundsätzen zu handeln und seine Vernunft zu befragen,<br />

bevor er auf seine Instinkte hört. Im staatsbürgerlichen Zustande entgehen<br />

ihm zwar viele Vorteile des natürlichen, dafür gewinnt er aber bedeutend<br />

größere, seine Fähigkeiten üben und entwickeln sich, der Kreis seiner<br />

Ideen erweitert sich, seine Empfindungen veredeln sich, der ganze geistige<br />

Mensch gewinnt derart, daß er immer die Stunde segnen wird, die ihn dem<br />

ungebundenen Zustande entriß und ihn aus einem dummen und beschränkten<br />

Tier zu einem denkenden Wesen und einem Menschen machte, wenn nicht<br />

andrerseits die Mißbräuche seines neuen Zustandes den Menschen häufig auf<br />

eine Stufe unter dem Naturzustand herabdrückten.<br />

Der Unterschied zwischen Gewinn und Verlust läßt sich auf folgende<br />

leichtfaßliche Formel bringen. Der Mensch verliert infolge des Gesellschaftsvertrages<br />

die natürliche Freiheit und das unbegrenzte Recht auf alles, was<br />

seine Lust reizt und was er erlangen kann; er gewinnt dafür die staatsbürgerliche<br />

Freiheit und das Eigentumsrecht an allem, was er besitzt. Um den<br />

Tausch richtig zu würdigen, muß man den Unterschied zwischen natürlicher<br />

Freiheit, die nur durch die Kraft des Individuums eingeschränkt wird, und<br />

staatsbürgerlicher Freiheit beachten, die an dem Allgemeinwillen ihre Grenze<br />

findet. Ein gleicher Unterschied besteht zwischen Besitz und Eigentum; Besitz<br />

ist der Erfolg von Kraft oder das Recht des ersten Besitzers, Eigentum stützt<br />

sich immer auf einen tatsächlichen Rechtsanspruch.<br />

Zu den erwähnten Vorteilen kommt in der organisierten Gesellschaft<br />

noch der Erwerb der sittlichen Freiheit, die allein dem Menschen die Herrschaft<br />

über sich selbst gibt; denn die ungebändigten Naturtriebe machen den<br />

Menschen zum Sklaven, der Gehorsam gegen ein eigenes Gesetz macht ihn<br />

frei. Die Bestimmung des philosophischen Begriffes Freiheit gehört aber nicht<br />

hierher, ich will ihn nicht weiter erörtern.<br />

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