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GESELLSCHAFTSVERTRAG

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gelebt, und sein Leben ist nicht mehr eine bloße Gabe der Natur, sondern ein<br />

bedingtes Geschenk des Staates.<br />

Die über Verbrecher verhängte Todesstrafe kann fast von demselben<br />

Gesichtspunkte angesehen werden. Um nicht das Opfer eines Mörders zu<br />

werden, ist man mit seinem eigenen Tod einverstanden, wenn man selbst ein<br />

Mörder wird. Man verfügt in diesem Vertrag keineswegs über sein Leben,<br />

man will es bloß sichern; man kann nicht annehmen, daß einer der Vertragschließenden<br />

die Absicht hat, sich später hängen zu lassen.<br />

Übrigens verletzt jeder Verbrecher das Recht der staatlichen Ordnung<br />

und wird durch seine Verbrechen ein Empörer und Verräter am Vaterlande;<br />

wenn er die Gesetze bricht, hört er auf, ihm anzugehören; er bekämpft es sogar.<br />

In diesem Fall ist die Erhaltung des Staates mit seiner eigenen unvereinbar.<br />

Einer von beiden muß zugrunde gehen; und wenn man den Schuldigen<br />

tötet, stirbt er nicht als Bürger, sondern als Feind des Staates. Durch das Gerichtsverfahren<br />

und das Urteil wird bewiesen und feierlich erklärt, daß er den<br />

Gesellschaftsvertrag gebrochen hat und folglich nicht mehr Mitglied des Staates<br />

ist. Da er sich aber mindestens durch seinen Aufenthalt dafür ausgegeben<br />

hat, muß er als Vertragsbrüchiger durch die Verbannung oder als Feind des<br />

Staates durch den Tod ausgestoßen werden. Denn ein solcher Feind ist keine<br />

Person in der Idee, sondern ein Mensch, hier gilt das Kriegsrecht, das die Tötung<br />

des Besiegten erlaubt.<br />

Die Verurteilung eines Verbrechers, wird man einwenden, ist ein privater<br />

Akt. Allerdings, die Verurteilung steht auch nicht dem Träger der Staatsgewalt<br />

zu. Es ist ein Recht, das er verleihen, aber nicht selbst ausüben kann.<br />

Alle meine Ideen hängen miteinander zusammen, ich kann sie nur nicht alle<br />

auf einmal entwickeln.<br />

Übrigens sind häufige Todesstrafen stets ein Zeichen von Schwäche<br />

oder Bequemlichkeit in der Regierung. Es gibt keinen schädlichen Menschen,<br />

dem man nicht zu irgend etwas nützlich machen könnte. Man darf nicht töten,<br />

um ein abschreckendes Beispiel zu geben, sondern nur, wenn einer nicht<br />

ohne Gefahr erhalten werden kann. Das Recht der Begnadigung oder des Erlasses<br />

einer Strafe, die das Gesetz bestimmt und der Richter verkündet hat,<br />

kommt nur dem zu, der über dem Richter und dem Gesetz steht, d. h. dem<br />

Träger der Staatsgewalt. Doch ist sein Recht nicht ganz klar, und die Fälle, in<br />

denen er es anwenden darf, sind sehr selten. In einem gut regierten Staat<br />

kommen wenig Bestrafungen vor; nicht weil man oft begnadigt, sondern weil<br />

es wenig Verbrecher gibt 1 . Häufung von Verbrechen sichert beim Verfall des<br />

1 Eine interessante Bemerkung über den Zusammenhang von Kriminalität und Landesverfassung<br />

in Bayern 1780 macht Riesbeck in seinen “Briefen eines reisenden Franzosen ...“<br />

http://www.welcker-online.de/Links/link_924.html : „Dieser Mangel an wahren, durchgedachten<br />

und vesten Grundsätzen, diese Scheinliebe, diese Verwirrung der Geschäfte durch<br />

die zu grosse Anzahl unbrauchbarer, unpatriotischer und müssiger Bedienten, macht die<br />

Verordnungen des Hofes oft sehr widersprechend. Einige vom Hofe haben vielleicht zwischen<br />

Wachen und Schlafen den Bekkaria gelesen, oder doch von der Verminderung der<br />

Todesstrafen und Abstellung der Folter in Preussen, Rußland und Oestreich gehört. Nun<br />

affektirte man hier auch diesen philosophischen Ton – es zeigte sich aber bald, daß es nur<br />

Affektation war. Die Diebe, Mörder und Strassenräuber mehrten sich so schnell und stark,<br />

daß eine Verordnung erschien, welche die ganze Blösse des Hofes an wahren Grundsätzen<br />

zeigte, und worin gesagt wurde: „so sehr der Landesfürst zur Milde geneigt sey, und so<br />

vest er sich vorgenommen gehabt habe, nach dem Beyspiel andrer Mächte die Gerechtigkeit<br />

menschlicher zu machen, so habe er sich doch gezwungen gesehn, wieder strenge<br />

nach der Karolina, wie zuvor, hängen, rädern, spiessen, verbrennen und foltern zu lassen“<br />

- Aber warum hat die Milderung der strafenden Gerechtigkeit in Preussen, Rußland und<br />

Oestreich die Folgen nicht gehabt, die in Bayern das neue Sistem wieder umwarfen? Aus<br />

keiner andern Ursache, als weil benannte Mächte ein ernstliches, durchgedachtes und zu-<br />

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