GESELLSCHAFTSVERTRAG
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en. Wer die Moral beurteilt, beurteilt die Ehre; und wer die Ehre beurteilt,<br />
nimmt als Maßstab die öffentliche Meinung.<br />
Die Meinungen eines Volkes entstehen aus seiner Verfassung. Das Gesetz<br />
regelt zwar nicht die Moral, aber sie entsteht mit der Gesetzgebung. Verliert<br />
das Gesetz an Autorität, so artet die Moral aus. Aber dann kann das Urteil<br />
der Zensoren nicht bewirken, was die Kraft der Gesetze nicht erreicht hat.<br />
Daraus folgt, daß die Zensur nützlich sein kann, um die Moral zu erhalten,<br />
aber unfähig ist, sie wiederherzustellen Man muß Zensoren einsetzen, solange<br />
die Gesetze ihren vollen Wert besitzen. Haben sie ihn verloren, ist<br />
nichts mehr zu hoffen. Es gibt keine gesetzmäßige Kraft mehr ohne die Gesetze.<br />
Die Zensur wahrt die Moral dadurch, daß sie die Entartung des Urteils<br />
verhindert und seine Redlichkeit durch kluge Anwendung ihres Amtes sichert;<br />
manchmal auch dadurch, daß es dem noch schwankenden Urteil eine feste<br />
Richtung gibt 1 . Die im Königreich Frankreich leidenschaftlich geübte Sitte<br />
der Sekundanten wurde durch die paar Worte einer königlichen Verordnung<br />
abgeschafft: "Wenn einer die Feigheit begeht, Sekundanten heranzuziehen..."<br />
Dieses Urteil hatte auf die öffentliche Meinung sofort einen entscheidenden<br />
Einfluß, weil es ihr entgegenkam. Aber als dieselben Verordnungen den Zweikampf<br />
als Feigheit erklären wollten (was durchaus der Wahrheit, aber nicht<br />
der öffentlichen Meinung entspricht), kümmerte sich das Publikum überhaupt<br />
nicht um diese Entscheidung, die seinem eigenen Urteil widersprach.<br />
An anderer Stelle habe ich geäußert 2 , daß der Zwang, dem die öffentliche<br />
Meinung nicht unterworfen ist, auch aus dem sie vertretenden Amt vollkommen<br />
ausgeschaltet bleiben muß. Die Kunst, mit der dieses heute ganz aus<br />
der Mode gekommene Mittel von den Römern und besser noch von den Spartanern<br />
angewandt wurde, verdient unsere volle Bewunderung.<br />
Ein Mensch von üblen Sitten hatte im Rat von Sparta eine gute Ansicht<br />
geäußert. Die Ephoren ließen, ohne auf ihn zu achten, dieselbe Ansicht durch<br />
einen ehrenhaften Staatsbürger vertreten. Der eine war dadurch geehrt, der<br />
andere verwarnt, ohne daß Lob oder Tadel offen ausgesprochen war. Einige<br />
Betrunkene von Samos beschmutzten das Gebäude der Ephoren; am nächsten<br />
Tage wurde durch eine öffentliche Verordnung allen Einwohnern die Erlaubnis<br />
gegeben, sich unanständig zu betragen. Eine wirkliche Strafe wäre weniger<br />
empfindlich gewesen als diese Straflosigkeit. Wenn Sparta erklärt hatte,<br />
was anständig und was unanständig ist, pflegte Griechenland auf ein eigenes<br />
Urteil zu verzichten.<br />
1 Im heutigen Deutschland erfolgt die Zensur subtiler als durch Verbote. So werden im Öffentlich-Rechtlichen<br />
Verblödungsfernsehen die sehenswerten Sendung zu später Stunde,<br />
solcher Mist aber wie “Um Himmels Willen“ zu günstigen Zeiten ausgestrahlt. Das Gebot<br />
der Meinungsvielfalt wird von den Schwarzkitteln in den Rundfunkräten erfolgreich unterlaufen:<br />
Wenn ein Kirchenkritiker wie Karlheinz Deschner zu einer Diskussionsrunde eingeladen<br />
wird, dann sagt man ihm in letzter Minute noch ab. So entstehen dann<br />
meinungsmanipulierende Scheindiskussionen.<br />
Auch das Totschweigen von Personen und Ereignissen ist eine immer wieder erfolgreiche<br />
Taktik.<br />
In anderen Fällen übernimmt das Bundesfamilienministerium die Funktion der Zensur.<br />
Dieses beantragte — gottlob erfolglos — im Dezember 2007, das religionskritische Kinderbuch<br />
“Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ von Michael Schmidt-Salomon auf<br />
die Liste der jugendgefährdenden Schriften zu setzen, da es „geeignet sei, Kinder und Jugendliche<br />
sozial-ethisch zu desorientieren“.<br />
2 Ich deute hier nur an, was ich in dem Brief an d'Alembert weiter ausgeführt habe. [JJR]<br />
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