Trible-mein_gott_war..
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Frauenfeindlichkeit ist der Feminismus eine prophetische Bewegung;<br />
sie untersucht den status quo, spricht das Urteil und ruft zur<br />
Buße auf. Dieser hermeneutische Ansatz beschäftigt sich auf verschiedene<br />
Weise mit der Schrift. 8 Einmal weist er Frauenfeindlich-<br />
.keit nach und zitiert und bewertet lange vernachlässigte Tatsachen,<br />
die den geringeren Rang, die Unterordnung und schlechte Behandlung<br />
der Frau im alten Israel und in der frühen Kirche zeigen. Ein<br />
andermal erkennt er im Gegensatz dazu auch, wo Kritik am Patriarchat<br />
innerhalb der Bibel selbst geübt wird, hebt vergessene Texte<br />
hervor und interpretiert bekannte neu, um Reste einer Theologie<br />
herauszuarbeiten, die den Sexismus der Schrift in Frage stellen.9<br />
Und drittens geht er von einer Perspektive aus, die die beiden<br />
anderen allerdings mit einschließt, d. h. diese Geschichten des<br />
Schreckens werden in memoriam erzählt, um eine Art des Lesens<br />
anzubieten, das vom Mitgefühl mit den mißhandelten Frauen getragen<br />
wird. Während die erste Perspektive die Frauenfeindlichkeit<br />
historisch und soziologisch belegt, geht diese die Dinge poetisch und<br />
theologisch an. Gleichzeitig sucht sie weiterhin an unwahrscheinlichen<br />
Orten nach den besagten Überresten. Diese Hermeneutik<br />
kennzeichnet die folgenden Aufsätze. Die Geschichten der Gewalttätigkeit<br />
werden um der weiblichen Opfer willen interpretiert, um<br />
eine vernachlässigte Seite der Geschichte wieder ins Bewußtsein zu<br />
bringen, um sich einer Vergangenheit zu erinnern, die bis in· die<br />
Gegen<strong>war</strong>t hineinreicht, und in dem inständigen Wunsch, daß sich<br />
diese Schrecken niemals wiederholen mögen. Wenn mit feministischer<br />
Hermeneutik diese traurigen Geschichten erzählt werden, so<br />
wird versucht, die Leiden jener Zeit wiedergutzumachen.<br />
Mit dieser Perspektive verbindet sich die Methode der literarkritik.:10<br />
So wie sie hier angewandt wird, bedingt sie ein intrinsisches<br />
Lesen des Textes in seiner endgültigen Form.:I:I Der Ausdruck »intrinsisches<br />
Lesen« bedeutet, aus innerem Interesse an der Sache auf<br />
den Text eingehendes, nicht so sehr innerhalb des Textes bleibendes<br />
Lesen.:I2 Um ein Verständnis zu ermöglichen, gehen literarische<br />
Analysen gewöhnlich mit konventionellen Methoden an Texte<br />
heran. Diese wissenschaftlichen Verfahren, Hilfsmittel und Kontrollen<br />
unterscheiden sich von einem Kritiker zum anderen und von<br />
einem Zeitalter zum anderen.:1) In dieser Untersuchung hier wird<br />
Akzent auf die Untrennbarkeit von Form, Inhalt und Bedeutung<br />
auf die rhetorische Formation von Sätzen, Episoden und<br />
Szenen, den allge<strong>mein</strong>en Entwurf und Handlungsverlauf:I4 sowie auf<br />
die Darstellung der Charaktere, insbesondere der mißhandelten<br />
Frauen.<br />
Jeder Essay steht für sich allein, gehört aber auch mit den anderen<br />
zusammen als Variation zu dem ge<strong>mein</strong>samen Thema des Schrekkens.<br />
Selbständigkeit und Interdependenz bestimmen somit die<br />
Anordnung der Kapitel. Einerseits ist keine besondere Ordnung<br />
zwingend, andererseits hat die dramatische Wirkung die Reihenfolge<br />
bestimmt. Fortschreitend von Verstoßung zu Vergewaltigung,<br />
Zerstückelung und Opferung, hat das literarische Urteil historische<br />
Gesichtspunkte in den Hintergrund gedrängt.<br />
Wenn Literarkritik die Methode und Feminismus die Perspektive Ist,<br />
so liefert die Geschichte von Jakobs Kampf am Jabbok den »Proviant«<br />
für unsere Reise (Gen 32,22-33)::15 Nach jahrelangem Aufenthalt<br />
auf seinem Heimweg verbringt Jakob eine Nacht allein im<br />
Kampf mit einem rätselhaften Gegner.:16 Die Geschichte legt nahe,<br />
daß dieser »Mann« ('ls) Gott ist, und doch bleibt seine genaue<br />
Identität ungewiß.:1 7 Die Dunkelheit am Jabbok verhüllt die Bedeutung<br />
des Ereignisses, während·sie die Verwirrung und den Schrekken,<br />
die damit verbunden sind, offenbart. Der Kampf ist fast ein<br />
Kampf zwischen Gleichen. Als Jakob die Oberhand gewinnt, verrenkt<br />
der Mann ihm die Hüfte. Ihr körperliches Miteinanderringen<br />
geht in einen verbalen Wettstreit über, wobei Jakob den Mann nicht<br />
gehen lassen will, es sei denn, er segnete ihn. Der nächtliche<br />
Besucher wandelt dieses Verlangen ab, indem er Jakob ein Bekenntnis<br />
seines Namens als Gauner, Schwindler und Betrüger entlockt.:18<br />
Um ihm eine neue Identität als Patriarch zu geben, ändert er den<br />
Namen in »Israel« (»Gottesstreiter«; Zür) um. Aber wiederum will<br />
Jakob den Angreifer überlisten. Er fragt ihn: »Sage doch, wie<br />
heißest du?« Dieses Verlangen zeigt, daß er seinen Wunsch nach<br />
Macht noch nicht aufgegeben hat, er wird aber besiegt durch die<br />
wissende Frage: »Warum fragst du, wie ich heiße?« Erst danach<br />
segnet der mächtige Gegenspieler den kraftvollen Kämpfer. Was<br />
Jakob haben möchte, bekommt er nicht zu seinen eigenen Bedingungen.<br />
Der Ausgang der Geschichte gibt den verkrüppelnden Sieg und<br />
18