PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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sollte — völlig außer Reichweite <strong>des</strong> Kunstkredits lag.[7]<br />
Die Werke dieser Sammlung bleiben also weiterhin einem<br />
größeren Publikum vorenthalten. Das mag <strong>für</strong> einzelne<br />
Künstler und <strong>für</strong> einzelne Werke das Richtige sein — gelten<br />
tut es aber <strong>für</strong> alle, auch <strong>für</strong> diejenigen, welche ihre<br />
Werke lieber so breit wie möglich distribuiert haben wollen.<br />
Und auch <strong>für</strong> Werke, die ohne diese Distribution in<br />
Vergessenheit zu versinken drohen. Dabei haben wohl<br />
KünstlerInnen ebenso wie deren Werke verschiedene<br />
Lebensphasen: Solche, bei denen vor allem Distribution<br />
wichtig wäre, und solche, bei denen ein Monopol und<br />
exklusive Nutzung sinnvoller ist. Unser Urheberrecht ist<br />
<strong>für</strong> die realen Bedürfnisse der KünstlerInnen also nicht<br />
nur zu wenig flexibel, es schlägt auch ein irrelevantes oder<br />
zumin<strong>des</strong>t überholtes Businessmodell vor.<br />
Wie steht es nun aber mit dem Werkbegriff, mit dem unser<br />
Urheberrecht operiert? Die geistigen Schöpfungen individuellen<br />
Charakters scheinen eben auch in ein anderes<br />
Jahrhundert zu gehören, zumin<strong>des</strong>t was die Bildende<br />
Kunst betrifft. In dieser Auffassung von Kunst haben zahlreiche<br />
wesentliche künstlerische Leistungen <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts<br />
(Marcel Duchamp oder Andy Warhol) schlicht<br />
keinen Platz: Marcel Duchamp’s Pissoir[8] oder In Advance<br />
of a Broken Arm[9] verfolgen ja gerade das Ziel, keinen<br />
individuellen Charakter zu haben — und damit übten sie<br />
maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kunst.<br />
Andy Warhols Werke andererseits sträuben sich dagegen,<br />
seine eigenen «geistigen Schöpfungen» zu sein — bekanntlich<br />
ging Andy Warhol in der Verunklärung von Autorschaft<br />
sogar so weit, Werke anderer KünstlerInnen, die<br />
ihm gefielen, zu signieren. Unser Urheberrecht trägt diesen<br />
nicht mehr ganz neuen Entwicklungen ebenso wenig<br />
Rechnung wie den weiteren Entwicklungen, die auf diese<br />
folgten. Sicherlich kann sich das Recht nicht nach jedem<br />
Trend ausrichten, aber der Graben zwischen dem Kunstverständnis<br />
<strong>des</strong> Rechts und dem real gelebten, zwischen<br />
dem im Recht vorgesehenen Gebrauch von Kultur und der<br />
Realität klafft inzwischen immer weiter auseinander. Die<br />
gegenwärtige Revision <strong>des</strong> Urheberrechts wurde nicht<br />
genutzt, um den Gesetzestext wieder etwas näher zur Realität<br />
zu bringen, sondern im Gegenteil, um diesen an internationale<br />
Abkommen (WIPO) anzupassen, welche die<br />
Interessen von (amerikanischen) Verwertungsindustrien<br />
zuungunsten der KünstlerInnen durchsetzen.<br />
Das Recht konstruiert damit die Fiktion eines singulären<br />
in sich abgeschlossenen Werkes und schließt multiple<br />
und ‹konfuse› Autorschaft aus. Gemäß Rosemary Coombe<br />
entspricht dies der Be<strong>für</strong>chtung, welche der Autorschaft<br />
immer innewohnt: «die Be<strong>für</strong>chtung, dass Autoren wohl<br />
doch nicht die exklusive und originäre Quelle der Bedeutung<br />
sind <strong>für</strong> die Werke, welche in deren Namen zirkulieren<br />
und welche die öffentliche Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit<br />
ausmachen.»[10] Irgendwie ahnen bestimmt<br />
selbst KünstlerInnen, welche noch dem Genie-Begriff <strong>des</strong><br />
vorletzten Jahrhunderts anhängen, dass diese Bedeutung<br />
durch die Kultur zustande kommt, welche sie mit ihrem<br />
Publikum teilen, und welche ihre Imagination ebenso nährt,<br />
wie sie die Rezeption der BetrachterInnen beeinflusst. Andy<br />
Warhol legt das schonungslos offen, wenn er Campbell<br />
Suppendosen oder ein Blumen-Foto von Patricia Caulfield<br />
zum Motiv seiner Werke macht. Ex nihilo nihil fit[11] ist<br />
jedoch eine philosophische Maxime aus der Antike und<br />
nicht aus dem 20. Jahrhundert. Kultur war schon damals<br />
essentiell im Bezug zu ihrer — auch kulturellen — Umwelt.<br />
Die neuen Medien und Technologien geben Warhols aufgelöster<br />
Autorschaft nun nochmals eine neue Dynamik.<br />
Kollektive Autorschaft und partizipative Prozesse sind<br />
nicht nur <strong>für</strong> sehr viele Leute in den Bereich <strong>des</strong> Möglichen<br />
gerückt, sondern werden auch rege genutzt. Linux<br />
ist nur die Spitze <strong>des</strong> Eisberges. Severine Dusollier weist<br />
darauf hin, dass solche Begriffe von postmodernen Denkern<br />
bereits vorweggenommen wurden.[12] Sie verweist<br />
etwa auf Roland Barthes, welcher dem Tod <strong>des</strong> Autors einen<br />
Aufsatz widmet: Es sei die Sprache, die spricht, nicht der<br />
Autor. Ein Text bestehe nicht aus einer Reihe von Worten,<br />
welche eine einzige theologische Bedeutung (die Mitteilung<br />
<strong>des</strong> ‹Autor-Gottes›) eröffnen, sondern aus einem multi-dimensionalen<br />
Raum, in welchem verbunden und<br />
widerstreitend viele Texte bestünden, die nicht original<br />
seien. Text sei ein Gewebe aus Zitaten aus zahllosen Zentren<br />
der Kultur. Dusollier zitiert Barthes weiter mit <strong>des</strong>sen<br />
Beschrieb der Transformation <strong>des</strong> gelangweilten Lesers,<br />
dem es nur gerade erlaubt ist, zu lesen, hin zu jenem<br />
Leser, der an der Produktion eines Textes ebenso wie an<br />
<strong>des</strong>sen Aufführung, Veröffentlichung und Umsetzung partizipiert.[13]<br />
Auch bei Michel Foucault findet Dusollier Hinweise<br />
auf Begründer der Diskursivität (Marx, Freud) und<br />
fast hellseherisch klingende Beschreibungen vom fiktiven,<br />
welches allen frei zur Verfügung steht, ohne durch so<br />
etwas wie eine einengende Figur hindurch zu müssen.[14]