PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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31 — # 08/09 (Dezember 2006)<br />
Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong><br />
der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>)<br />
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Im Folgenden sollen drei Ausstellungen <strong>des</strong> Deutschen<br />
Hygiene-Museums vorgestellt werden, die drei sehr unterschiedliche<br />
Möglichkeiten <strong>des</strong> Ausstellungsmachens in<br />
Szene setzen.<br />
Ein erstes Ausstellungsbeispiel: Das Deutsche Hygiene-<br />
Museum ging erstmals mit der Ausstellung «Kosmos im<br />
Kopf — Gehirn und Denken» (2000) ein besonderes Experiment<br />
ein: Der Künstler Via Lewandowsky und der<br />
Schriftsteller Durs Grünbein setzten gemeinsam mit einem<br />
Expertenteam ein wissenschaftliches Konzept in ein künstlerisches<br />
Gesamtkunstwerk um. Dieser Weg wurde eingeschlagen,<br />
um die komplexen wissenschaftlichen Inhalte<br />
der Gehirnforschung und ihre kulturellen Folgen auf eine<br />
sehr sinnliche Art und Weise «zur Ansicht» zu bringen.<br />
Dieses Experiment gelang u.a. auch <strong>des</strong>wegen, weil «die<br />
Kunst sich in diesem Projekt der Wissenschaft wie einem<br />
Bergführer anvertraut» (Via Lewandowsky). Der Künstler<br />
schuf wunderbare, sehr poetische künstlerische Rauminstallationen,<br />
in denen die Dinge und der wissenschaftliche<br />
Inhalt mit Witz und Ironie präsentiert wurden. Der Dialog<br />
zwischen Wissenschaft und Kunst ist seitdem ein, aber<br />
nicht das ausschließliche Umsetzungsprinzip unserer Ausstellungsarbeit.<br />
Charakteristisch <strong>für</strong> diesen Ansatz ist, dass<br />
er in seiner Gestaltung über das eigentliche Ausstellungsobjekt<br />
hinausgeht und sowohl die räumliche und kontextuelle<br />
Umgebung wie — bewusst — die BetrachterInnen<br />
in eine Gesamtdramaturgie mit einzubeziehen versucht.<br />
Die Qualität der Umsetzung steht und fällt mit Künstlerpersönlichkeiten<br />
und natürlich auch mit Wissenschaftlern,<br />
die den Mut haben, sich auf dieses Experiment einzulassen.<br />
Ein zweites Ausstellungsbeispiel: Das inhaltliche Konzept<br />
der Ausstellung «Der (im-)perfekte Mensch» (2000/2002)<br />
ging davon aus, dass am Beispiel von behinderten Menschen<br />
in Geschichte und Gegenwart die historische Gewordenheit<br />
heutiger Vorstellungen von Normalität, von Perfektion und<br />
Unvollkommenheit im Zeitalter der Biowissenschaften zur<br />
Diskussion gestellt werden sollten. Konzeption und Dramaturgie<br />
hatten sich in der stetigen Auseinandersetzung mit<br />
folgender Problematik entwickelt: Die Wahrnehmung<br />
behinderter Menschen ist nach wie vor ein Problem in der<br />
medialen Repräsentanz und Stereotypisierung; die Ausstellung<br />
behandelte ein Thema, das äußerst tabubesetzt ist,<br />
und in der (kultur-)historischen Betrachtung von Behinderung<br />
als einem gesellschaftlichen Phänomen dominiert der<br />
Opferstatus der Betroffenen. Durch die traditionelle Inszenierung<br />
von Objekten hätte die Intention der Ausstellung<br />
nur unzureichend anschaulich gemacht werden können, da<br />
die historischen wie aktuellen Objekte primär den Opferstatus<br />
von behinderten Menschen repräsentieren; auch sollte<br />
das Thema in seinen kulturellen Dimensionen <strong>für</strong> behinderte<br />
wie auch <strong>für</strong> nichtbehinderte Menschen geöffnet werden.<br />
Aus diesem Grund wurde eine Gesamtinszenierung<br />
versucht, die mehr ein emotionales, bewegen<strong>des</strong>, kommentieren<strong>des</strong>,<br />
denn ein belehren<strong>des</strong> und didaktisches Erlebnis<br />
<strong>für</strong> die BesucherInnen sein sollte. So wurde das wissenschaftliche<br />
Konzept von einem Team von Wissenschaftlern<br />
erarbeitet; dramaturgisch und gestalterisch umgesetzt wurde<br />
es unter der künstlerischen Leitung von Fred Berndt,<br />
einem bekannten Berliner Opernregisseur und Bühnengestalter.<br />
Er schuf eigens <strong>für</strong> diese Ausstellung den Raum: Die<br />
Inhalte wurden als Geschichten im Raum erzählt. Inszenierte<br />
Erfahrungsräume, atmosphärisch dichte Installationen<br />
wurden mit authentischen Objekten und Originaldokumenten<br />
kombiniert. So entstand eine Atmosphäre, die die BesucherInnen<br />
in eine dreidimensionale, begehbare Welt entführte,<br />
die abstrakte Gedanken veranschaulichte, indem sie<br />
sie in assoziative, erzählende Symbole umsetzte. Resümiert<br />
man die Pressestimmen zu dieser Ausstellung, so kann Folgen<strong>des</strong><br />
beobachtet werden: Zum einen die kontroversen<br />
Haltungen der Kommentatoren, die von überwiegender<br />
Zustimmung, ja Begeisterung bis hin zu vereinzelt fundamentaler<br />
Ablehnung reichten, während die übliche breite<br />
Zwischenlage eines indifferent wohlwollenden ‹Zwar-Aber›<br />
sich selten einstellte. Anscheinend ließ die Ausstellung niemanden<br />
kalt. Sie hatte also ganz offensichtlich eine hohe<br />
Diskurswirkung (und eine hohe Besucherzahl von 170’000).<br />
Was kann eine Ausstellung mehr erreichen?<br />
Ein drittes Ausstellungsbeispiel: Die Ausstellung «10 Gebote»<br />
(2004) war als eine klassische kulturhistorische Ausstellung<br />
geplant. Doch im Laufe der Vorbreitungen wurden die<br />
zentralen Fragestellungen immer gegenwartsbezogener:<br />
«Welche aktuelle Bedeutung haben die 10 Gebote heute?»;<br />
«Vor welchen ethischen Problemen stehen die Menschen<br />
heute?»; «An welchen Werten können sich Menschen heute<br />
orientieren?». Um diesen radikal gegenwartsbezogenen<br />
Fokus sicherzustellen, wurde beschlossen, eine Ausstellung<br />
ausschließlich mit zeitgenössischer Kunst zu realisieren<br />
— gemeinsam mit dem Kurator Klaus Biesenbach. Diese<br />
Ausstellung irritierte die BesucherInnen, weil niemand<br />
eine Ausstellung mit hochwertiger zeitgenössischer Kunst