PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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31 — # 08/09 (Dezember 2006)<br />
Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong><br />
der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>)<br />
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2 Vgl. dazu die genau in diese Richtung<br />
wichtigen Ausführungen von Jacques Derrida,<br />
Die unbedingte Universität, Frankfurt am Main<br />
2001.<br />
Die ästhetische Praxis der Künste hat<br />
ihre Bedeutung darin, dass sie sich auf<br />
die Erfindung und Entdeckung besonderer<br />
Wahrnehmungsereignisse konzentriert.<br />
Im Vordergrund der Aufmerksamkeit<br />
steht das Konkrete: die situativen<br />
Bedingungen und Gegebenheiten<br />
eines künstlerischen Anlasses und die<br />
materielle, prozessuale Transformation,<br />
die eine künstlerische Arbeit vornimmt.<br />
Diese ästhetische Dynamik<br />
schafft und evoziert eine sinnlich erlebbare<br />
Präsenz, wobei sie sich darin nicht<br />
erschöpft. Abstraktion ist mit im Spiel.<br />
Was zur Schau gestellt wird, ist das<br />
Schau-Stück als ein Ereignis <strong>des</strong> Schauens.<br />
Ästhetische Praxis ist in diesem<br />
Sinn wesentlich selbstreferenziell —<br />
auch und gerade in Bezug auf den Zu-<br />
Schauer. Gezeigt wird, dass und wie<br />
etwas gezeigt wird. Gezeigt wird das<br />
Zeigen selbst.<br />
Was einem dabei im Erleben <strong>des</strong><br />
ästhetischen Ereignisses widerfährt,<br />
wird in der Antwort der ästhetischen<br />
Erfahrung bemerkbar, einsichtig und<br />
reflektiert. Erst in der Erfahrung als<br />
Verarbeitung <strong>des</strong> Widerfahrens wird<br />
das Geschehen zur ästhetischen Situation.<br />
Offensichtlich ist dies auch ein<br />
Vorgang der Abstraktion, der jedoch<br />
das Konkrete der ästhetischen Veranlassung<br />
und deren Erleben nicht auslöscht,<br />
sondern in sich aufnimmt und darüber<br />
hinaus führt. Dabei werden das Besondere<br />
und Kontingente <strong>des</strong> künstlerischen<br />
Geschehens auch immer verfehlt;<br />
es bleibt ein ästhetisch Überschüssiges,<br />
was den Vorgang <strong>des</strong> Verstehens, der<br />
in der Erfahrung ausgelöst wird, mit<br />
dieser nicht gleichsetzt und nicht zu<br />
Ende kommen lässt. Dieses Nicht-Gelingen<br />
ist jedoch nicht das skandalon<br />
— im Gegenteil: Skandalös verfährt die<br />
<strong>Theorie</strong>, die es im Akt der Bereinigung,<br />
als den sie Verstehen begreift, bewusst<br />
übersieht und verdeckt. Wenn <strong>Theorie</strong><br />
in Bezug zu den Künsten gesetzt werden<br />
soll, dann nur, weil sie sich in<br />
ihrem Verfahren durch das Geschehen<br />
künstlerischer Vorgänge irritieren und<br />
inspirieren und zur Selbstbeobachtung<br />
verführen lässt. Die Inszenierung spezifischer<br />
Nachbarschaften als Dynamik<br />
von Anlehnungen, Einbezügen, Übergängen,<br />
Durchquerungen, Dazwischenräumen,<br />
Bespiegelungen produziert die<br />
entscheidende Herausforderung <strong>für</strong><br />
eine <strong>Theorie</strong> on stage. Richtet man so<br />
die Aufmerksamkeit auf die <strong>Theorie</strong> als<br />
Gestaltungsvorgang, so wäre beispielhaft<br />
ihre literarische Seite zu exponieren.<br />
Was bedeutet, dass auch in der<br />
<strong>Theorie</strong> — wie in der Literatur — der<br />
Autor (sich) fragwürdig werden kann,<br />
indem er nicht identisch sein muss mit<br />
demjenigen, der in den Texten spricht.<br />
Damit erweist sich <strong>Theorie</strong> als nicht<br />
einfach zuschreibbar und an eine Autorschaft<br />
anzubinden, sondern als Produktion<br />
eines Raumes der Differenz, d.h.<br />
eines Raumes <strong>des</strong> Nach-Denkens, in<br />
dem Denken sichtbar wird, Fehler deutlich<br />
werden, Zuschreibungen vorgenommen<br />
werden können und in dem<br />
die Bedeutung von Intertextualität auch<br />
<strong>für</strong> die <strong>Theorie</strong> offensichtlich wird.<br />
Dabei muss die Spannung zwischen<br />
Autor und Performanz <strong>des</strong> Textes nicht<br />
nur aufrechterhalten, sondern forciert<br />
werden. Die Bühne ist ein möglicher<br />
Ort, an dem dies erprobt werden kann.<br />
Die Tatsache, dass <strong>Theorie</strong> auch und<br />
oft emphatisch (etwas) bezeugt, erscheint<br />
nur auf den ersten Blick als Gegensatz<br />
zu der ‹Verselbständigung› <strong>des</strong><br />
<strong>Theorie</strong>vorgangs. <strong>Theorie</strong>, die bezeugt,<br />
zeigt. Sie zeigt auf etwas, das bezeugt<br />
wird, das aber durch das Bezeugen<br />
nicht beherrscht werden kann. Auch<br />
hier wird eine Differenz hergestellt, ein<br />
Überschuss, der nicht eingeholt werden<br />
kann. Diese der <strong>Theorie</strong> wesentliche<br />
(nicht intendierte) Differenzproduktion<br />
markiert Unbedingtheit der <strong>Theorie</strong><br />
und gleichzeitig ihren Widerstand<br />
gegen jegliche Souveränität.[2]<br />
)