PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
95<br />
stellt, tut sich doch auch ein seltsamer<br />
Abgrund auf; eine Leere, die zunächst<br />
symbolisch gefüllt werden muss. Diese<br />
Rolle fällt in der Regel den Initiatoren<br />
zu — so auch hier. Jans kleine Rede zu<br />
Beginn <strong>des</strong> ersten großen Treffens, bei<br />
dem ca. 40 Leute in einem großen Kreis<br />
saßen, fiel sehr minimalistisch und<br />
humoristisch schroff aus: keinen institutionellen<br />
Pomp und Ballast, am besten<br />
gar keine institutionelle Struktur,<br />
jeder soll sich frei fühlen, die Initiative<br />
zu ergreifen, keinen abstrakten Ausschluss<br />
und keine Selektion, sondern die<br />
Notwendigkeit, sowohl zu den Marktmechanismen<br />
als auch zu den institutionellen<br />
Rahmenbedingungen und<br />
deren Arbeitsteilung, die den etablierten<br />
Performance- und Tanzbetrieb regeln,<br />
produktiv auf Distanz zu gehen.<br />
Alles ist erlaubt. Es sei denn, es stellt<br />
sich heraus, dass es nicht erlaubt ist.<br />
Jedenfalls keine festen Statuten oder<br />
ein verbindliches Regelwerk. Dazu das<br />
erklärte Interesse an einer Formulierung<br />
von ‹Kunst, die denkt› und einer<br />
universitären Dimension. Soweit in<br />
etwa der erste Schnitt in die opake<br />
Struktur: die erste Setzung, die das Projekt<br />
von einem ‹Ich stelle mir vor› oder<br />
‹Ich will› in ein amorphes ‹Wir› überführt<br />
— ob man will oder nicht. Es war<br />
klar, dass weder Jan noch Bojana Lust<br />
und Zeit haben, den Betrieb alleine am<br />
Laufen zu halten, sondern die virtuellen<br />
Möglichkeiten in die Hände eines<br />
noch virtuellen Kollektivs legen wollen,<br />
das sich mehr oder weniger unsicher<br />
ist, ob es dieses großzügige Geschenk<br />
annehmen kann oder nicht. Gefragt<br />
war ein Sprung auf der Stelle. Man kam<br />
sich ein bisschen vor wie bei einem<br />
Potlatsch (auch so ein Theorem mit<br />
Konjunktur, das hier jedoch eine praktische<br />
Bedeutung bekam). Wie konnte<br />
man diese großzügige Geste der Kollektivierung,<br />
die sich potentiell an jeden<br />
richtet, den es interessiert, beantworten,<br />
ohne zu vorsichtig, zurückhaltend<br />
und geizig zu wirken?<br />
Die anschließenden tagelangen Diskussionen<br />
glichen einem Umherirren im<br />
Labyrinth dieser Koordinaten (Gabe).<br />
Ein vorsichtiges Abtasten der Implikationen<br />
<strong>des</strong> hier freundlich, aber bestimmt<br />
vorgetragenen Wunsches, den<br />
Jan im Namen seiner selbst ausgesprochen<br />
hatte und der von Bojana ergänzend<br />
kommentiert wurde. Ich betone<br />
die spezielle Rolle von Jan hier so deutlich,<br />
nicht nur weil ihm als Besitzer <strong>des</strong><br />
Hauses und Initiator auf der Suche<br />
nach Fürsprechern eine Sonderolle<br />
zukommt, sondern weil das Paradox,<br />
etwas kollektivieren zu wollen, was<br />
noch nicht da ist, den Kern von Selbstorganisation<br />
berührt. So wurde zum<br />
Beispiel auf pragmatischer Ebene<br />
schnell deutlich, dass das Haus einmal<br />
gekauft, ökonomisch natürlich keine<br />
Ruhe geben würde, sondern die Hypothek<br />
der monatlichen Unterhaltskosten<br />
erheblichen Druck ausübt (zunächst in<br />
erster Linie auf Jan) und dass die<br />
Lösung dieses Problems in einem deutlichen<br />
Widerspruch zur erklärten Distanz<br />
zu den gängigen Geldströmen<br />
steht. Fördergelder, Sponsoring, Vermieten<br />
etc. braucht Zeit und könnte<br />
unangenehme Nebeneffekte haben.<br />
Was tun? Zunächst bleibt nur die Kommunikation.<br />
Den ganzen Diskussionen konnte man<br />
ganz klar die theoretischen Bezüge<br />
anmerken, die in den letzten Jahren im<br />
internationalen Kunstfeld große Bedeutung<br />
bekommen haben und aus <strong>Theorie</strong><br />
selber eine immanente Praxis haben<br />
werden lassen, die sich teilweise der<br />
Praxis als Substitut angeboten hat. Als<br />
‹Werkzeuge› bei der Gründung eines<br />
so großen und komplexen praktischen<br />
Vorhabens zeigte sich jedoch sehr<br />
schnell die besondere Ambivalenz, die<br />
in diesem exzessiven <strong>Theorie</strong>konsum<br />
liegt. Einerseits lässt sich so auf hohem<br />
Niveau sprechen und analysieren, andererseits<br />
neigt die Lust am Text und der<br />
<strong>Theorie</strong> dazu, in immanente semantische<br />
Schleifen einzutreten, die in sich<br />
kreisen und die reale Problematik aus<br />
dem Blick verlieren. Redundante Echokammern,<br />
die selber wieder einer Entscheidung<br />
zugeführt werden müssen,<br />
die außerhalb von ihnen liegt. Hier hat<br />
sich die spezielle Architektur <strong>des</strong> Hauses<br />
als sehr brauchbar erwiesen. Sie<br />
ermöglicht große Zusammenkünfte<br />
und Rückzug. Eine gewisse Privatheit,<br />
die sich jederzeit in Kontakt überführen<br />
lässt. Eine entspannte Arbeitsatmosphäre,<br />
die sich wie von selbst in ein<br />
kollektives Agieren integriert.<br />
Sobald man sich außerhalb eines institutionellen<br />
und finanziellen Rahmens<br />
befindet, vermischen sich automatisch<br />
die ökonomischen, sozialen und inhaltlichen<br />
Ebenen zu einer Art ‹Subjektgruppe›.<br />
Diese Ebenen, Bereiche und<br />
Funktionen werden in <strong>Institut</strong>ionen normalerweise<br />
getrennt und unterliegen<br />
einer hierarchischen Arbeitsteilung.<br />
Diese Trennung schafft eine gewisse<br />
Abstraktion und regelt die Abläufe.<br />
Jeder Funktionsträger <strong>des</strong> Kollektivs<br />
einer <strong>Institut</strong>ion wird seiner Tätigkeit<br />
entsprechend bezahlt. In einer Subjektgruppe<br />
lösen sich die Grenzen tendenziell<br />
auf, beziehungsweise müssen immer<br />
wieder neu definiert und ausgehandelt<br />
werden. Die einzelnen Mitglieder der<br />
Gruppe sind nicht einfach Funktionsträger,<br />
sondern sich überschneidende<br />
Existenzen, die zusammen so etwas wie<br />
eine Gruppensubjektivität bilden, die<br />
vielfältig an die Umgebung angeschlossen<br />
ist. Man erfindet gemeinsam ein<br />
künstliches Territorium, gibt sich einen<br />
Namen, verwendet in der Folge oft das<br />
Wort ‹Wir› und schafft so eine Sichtbarkeit<br />
und Öffentlichkeit, die die fragilen<br />
Ränder der Subjektgruppe definiert.<br />
Auch wenn diese Ränder durchlässig<br />
sind, besitzen solche selbstorganisierten<br />
kollektiven Orte eine bewegliche<br />
Identität, die sie von anderen Orten<br />
unterscheidet und in Konkurrenz zu<br />
diesen setzt. Es gibt verschiedene Gründe,<br />
sie ins Leben zu rufen: eine gewisse<br />
Autonomie gegenüber dem Kunstbetrieb<br />
und seinen institutionellen Zwängen,<br />
die empfundene Notwendigkeit<br />
kritisch-theoretische Praxis und Kunstproduktion<br />
zu verbinden und als politische<br />
Intervention in den öffentlichen<br />
Raum zu tragen und die Lust, einen Ort<br />
zu haben und zusammenzuarbeiten.<br />
Diesen Prozess hat die ‹Gruppe›, die<br />
selber nicht genau weiß, wie groß sie<br />
noch wird, und sich mittlerweile gerne<br />
PAF nennt (am Anfang war der Name<br />
umstritten, aber wie so oft bleibt der<br />
erste Vorschlag hängen), erstaunlich<br />
schnell durchlaufen und viele der anstehenden<br />
Fragen und Probleme konkret<br />
formuliert. In diesem Prozess haben<br />
sich einige der Anfangsideen relativiert<br />
bzw. transformiert. Die Diskussion um<br />
das Pro und Contra einer <strong>Institut</strong>ion<br />
sind einem pragmatischeren Umgang