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PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith

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stellt, tut sich doch auch ein seltsamer<br />

Abgrund auf; eine Leere, die zunächst<br />

symbolisch gefüllt werden muss. Diese<br />

Rolle fällt in der Regel den Initiatoren<br />

zu — so auch hier. Jans kleine Rede zu<br />

Beginn <strong>des</strong> ersten großen Treffens, bei<br />

dem ca. 40 Leute in einem großen Kreis<br />

saßen, fiel sehr minimalistisch und<br />

humoristisch schroff aus: keinen institutionellen<br />

Pomp und Ballast, am besten<br />

gar keine institutionelle Struktur,<br />

jeder soll sich frei fühlen, die Initiative<br />

zu ergreifen, keinen abstrakten Ausschluss<br />

und keine Selektion, sondern die<br />

Notwendigkeit, sowohl zu den Marktmechanismen<br />

als auch zu den institutionellen<br />

Rahmenbedingungen und<br />

deren Arbeitsteilung, die den etablierten<br />

Performance- und Tanzbetrieb regeln,<br />

produktiv auf Distanz zu gehen.<br />

Alles ist erlaubt. Es sei denn, es stellt<br />

sich heraus, dass es nicht erlaubt ist.<br />

Jedenfalls keine festen Statuten oder<br />

ein verbindliches Regelwerk. Dazu das<br />

erklärte Interesse an einer Formulierung<br />

von ‹Kunst, die denkt› und einer<br />

universitären Dimension. Soweit in<br />

etwa der erste Schnitt in die opake<br />

Struktur: die erste Setzung, die das Projekt<br />

von einem ‹Ich stelle mir vor› oder<br />

‹Ich will› in ein amorphes ‹Wir› überführt<br />

— ob man will oder nicht. Es war<br />

klar, dass weder Jan noch Bojana Lust<br />

und Zeit haben, den Betrieb alleine am<br />

Laufen zu halten, sondern die virtuellen<br />

Möglichkeiten in die Hände eines<br />

noch virtuellen Kollektivs legen wollen,<br />

das sich mehr oder weniger unsicher<br />

ist, ob es dieses großzügige Geschenk<br />

annehmen kann oder nicht. Gefragt<br />

war ein Sprung auf der Stelle. Man kam<br />

sich ein bisschen vor wie bei einem<br />

Potlatsch (auch so ein Theorem mit<br />

Konjunktur, das hier jedoch eine praktische<br />

Bedeutung bekam). Wie konnte<br />

man diese großzügige Geste der Kollektivierung,<br />

die sich potentiell an jeden<br />

richtet, den es interessiert, beantworten,<br />

ohne zu vorsichtig, zurückhaltend<br />

und geizig zu wirken?<br />

Die anschließenden tagelangen Diskussionen<br />

glichen einem Umherirren im<br />

Labyrinth dieser Koordinaten (Gabe).<br />

Ein vorsichtiges Abtasten der Implikationen<br />

<strong>des</strong> hier freundlich, aber bestimmt<br />

vorgetragenen Wunsches, den<br />

Jan im Namen seiner selbst ausgesprochen<br />

hatte und der von Bojana ergänzend<br />

kommentiert wurde. Ich betone<br />

die spezielle Rolle von Jan hier so deutlich,<br />

nicht nur weil ihm als Besitzer <strong>des</strong><br />

Hauses und Initiator auf der Suche<br />

nach Fürsprechern eine Sonderolle<br />

zukommt, sondern weil das Paradox,<br />

etwas kollektivieren zu wollen, was<br />

noch nicht da ist, den Kern von Selbstorganisation<br />

berührt. So wurde zum<br />

Beispiel auf pragmatischer Ebene<br />

schnell deutlich, dass das Haus einmal<br />

gekauft, ökonomisch natürlich keine<br />

Ruhe geben würde, sondern die Hypothek<br />

der monatlichen Unterhaltskosten<br />

erheblichen Druck ausübt (zunächst in<br />

erster Linie auf Jan) und dass die<br />

Lösung dieses Problems in einem deutlichen<br />

Widerspruch zur erklärten Distanz<br />

zu den gängigen Geldströmen<br />

steht. Fördergelder, Sponsoring, Vermieten<br />

etc. braucht Zeit und könnte<br />

unangenehme Nebeneffekte haben.<br />

Was tun? Zunächst bleibt nur die Kommunikation.<br />

Den ganzen Diskussionen konnte man<br />

ganz klar die theoretischen Bezüge<br />

anmerken, die in den letzten Jahren im<br />

internationalen Kunstfeld große Bedeutung<br />

bekommen haben und aus <strong>Theorie</strong><br />

selber eine immanente Praxis haben<br />

werden lassen, die sich teilweise der<br />

Praxis als Substitut angeboten hat. Als<br />

‹Werkzeuge› bei der Gründung eines<br />

so großen und komplexen praktischen<br />

Vorhabens zeigte sich jedoch sehr<br />

schnell die besondere Ambivalenz, die<br />

in diesem exzessiven <strong>Theorie</strong>konsum<br />

liegt. Einerseits lässt sich so auf hohem<br />

Niveau sprechen und analysieren, andererseits<br />

neigt die Lust am Text und der<br />

<strong>Theorie</strong> dazu, in immanente semantische<br />

Schleifen einzutreten, die in sich<br />

kreisen und die reale Problematik aus<br />

dem Blick verlieren. Redundante Echokammern,<br />

die selber wieder einer Entscheidung<br />

zugeführt werden müssen,<br />

die außerhalb von ihnen liegt. Hier hat<br />

sich die spezielle Architektur <strong>des</strong> Hauses<br />

als sehr brauchbar erwiesen. Sie<br />

ermöglicht große Zusammenkünfte<br />

und Rückzug. Eine gewisse Privatheit,<br />

die sich jederzeit in Kontakt überführen<br />

lässt. Eine entspannte Arbeitsatmosphäre,<br />

die sich wie von selbst in ein<br />

kollektives Agieren integriert.<br />

Sobald man sich außerhalb eines institutionellen<br />

und finanziellen Rahmens<br />

befindet, vermischen sich automatisch<br />

die ökonomischen, sozialen und inhaltlichen<br />

Ebenen zu einer Art ‹Subjektgruppe›.<br />

Diese Ebenen, Bereiche und<br />

Funktionen werden in <strong>Institut</strong>ionen normalerweise<br />

getrennt und unterliegen<br />

einer hierarchischen Arbeitsteilung.<br />

Diese Trennung schafft eine gewisse<br />

Abstraktion und regelt die Abläufe.<br />

Jeder Funktionsträger <strong>des</strong> Kollektivs<br />

einer <strong>Institut</strong>ion wird seiner Tätigkeit<br />

entsprechend bezahlt. In einer Subjektgruppe<br />

lösen sich die Grenzen tendenziell<br />

auf, beziehungsweise müssen immer<br />

wieder neu definiert und ausgehandelt<br />

werden. Die einzelnen Mitglieder der<br />

Gruppe sind nicht einfach Funktionsträger,<br />

sondern sich überschneidende<br />

Existenzen, die zusammen so etwas wie<br />

eine Gruppensubjektivität bilden, die<br />

vielfältig an die Umgebung angeschlossen<br />

ist. Man erfindet gemeinsam ein<br />

künstliches Territorium, gibt sich einen<br />

Namen, verwendet in der Folge oft das<br />

Wort ‹Wir› und schafft so eine Sichtbarkeit<br />

und Öffentlichkeit, die die fragilen<br />

Ränder der Subjektgruppe definiert.<br />

Auch wenn diese Ränder durchlässig<br />

sind, besitzen solche selbstorganisierten<br />

kollektiven Orte eine bewegliche<br />

Identität, die sie von anderen Orten<br />

unterscheidet und in Konkurrenz zu<br />

diesen setzt. Es gibt verschiedene Gründe,<br />

sie ins Leben zu rufen: eine gewisse<br />

Autonomie gegenüber dem Kunstbetrieb<br />

und seinen institutionellen Zwängen,<br />

die empfundene Notwendigkeit<br />

kritisch-theoretische Praxis und Kunstproduktion<br />

zu verbinden und als politische<br />

Intervention in den öffentlichen<br />

Raum zu tragen und die Lust, einen Ort<br />

zu haben und zusammenzuarbeiten.<br />

Diesen Prozess hat die ‹Gruppe›, die<br />

selber nicht genau weiß, wie groß sie<br />

noch wird, und sich mittlerweile gerne<br />

PAF nennt (am Anfang war der Name<br />

umstritten, aber wie so oft bleibt der<br />

erste Vorschlag hängen), erstaunlich<br />

schnell durchlaufen und viele der anstehenden<br />

Fragen und Probleme konkret<br />

formuliert. In diesem Prozess haben<br />

sich einige der Anfangsideen relativiert<br />

bzw. transformiert. Die Diskussion um<br />

das Pro und Contra einer <strong>Institut</strong>ion<br />

sind einem pragmatischeren Umgang

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