PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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4 Vgl. Douglas Adams, Per Anhalter durch die<br />
Galaxis, München 1981, S. 83 ff.<br />
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5 Vgl. Kai van Eikels, Zeitlektüren. Ansätze zu<br />
einer Kybernetik der Erzählung, Würzburg 2002,<br />
S. 660.<br />
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92<br />
Zweitens: Wunder der Befreiung aus scheinbar auswegslosen<br />
Situationen. Tatsächlich fanden sich in diesen 21<br />
Tagen viele Leute, deren eigene Wundersuche sich als<br />
Versuch verstehen lässt, einen Weg aus einer unerträglichen<br />
Situation zu finden: der Mann, der sein Leben der<br />
Vorbereitung eines einzigen perfekten Tanzabends widmet;<br />
die Ein-Euro-Jobber, die <strong>für</strong> Wolfgang Clement Tagebuch<br />
schreiben. So verband sich die Wundersuche prinzipiell<br />
damit, vor allem jenen Aufmerksamkeit zu schenken,<br />
die sich an den Grenzen der zivilisierten Welt aufhalten<br />
— denn sie sind naturgemäß eher mit Wundern vertraut<br />
als andere.<br />
Drittens war die Geheimagentur auf Wunder der<br />
Vermehrung durch Schenkung aus: «geben was man nicht<br />
hat». Im Zuge der Wundersuche wurde dann deutlich,<br />
dass die Vermehrung durch Schenkung generell der Logik<br />
<strong>des</strong> Wunders entspricht. Es war nicht zuletzt der tägliche<br />
Umgang mit der Presse, der uns auf diese Spur setzte. Die<br />
Presse fragte wieder und wieder, ob und wie wir die uns<br />
erzählten Wunder auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen<br />
würden. Die Wahrheit, oder, genauer gesagt, die Evidenz<br />
eines Wunder bemisst sich aber nicht daran, ob es in einer<br />
tatsachengetreuen Repräsentation abbildbar ist, ob also<br />
die Erzählung von einem wundersamen Geschehen die<br />
vergangenen Ereignisse tatsächlich wahrheitsgetreu wiedergibt.<br />
Das heißt nicht, dass sich das Wunder auf eine<br />
Anekdote reduziert, deren Wahrheit und Wirklichkeit völlig<br />
irrelevant wäre. Die Evidenz <strong>des</strong> Wunders hängt vielmehr<br />
vom Augenblick seiner Weitergabe ab. Sie stellt sich<br />
dann her, wenn sich das Wunder im Moment seiner Mitteilung<br />
selbst noch einmal mit-teilt. Man könnte auch<br />
sagen: Das Wunder ist kein vorgängiges Geschehen, das<br />
unabhängig von diesem Moment seiner Mitteilung existiert.<br />
Das bedeutet, dass es sich fortzeugt, dass es sich vermehrt,<br />
indem es mitgeteilt wird. Und das wiederum bedeutet: ein<br />
Wunder kommt selten allein. Die Geheimagentur benennt<br />
diese Erfahrung mit dem von Douglas Adams entliehenen<br />
Begriff <strong>des</strong> «Unwahrscheinlichkeitsdrives»[4]: Das Wunder<br />
hat um so mehr Evidenz, je intensiver das Unwahrscheinlichkeitsfeld<br />
ist, das im Zuge seiner Mitteilung entsteht.<br />
Novalis hat gesagt, dass Wunder entstehen, wenn<br />
zwei Unwahrscheinlichkeiten aufeinander treffen.[5] Dies<br />
ist ein wichtiger Fingerzeig hinsichtlich der paradoxen<br />
Logik der Wundersuche: Die Wundersuche beginnt damit,<br />
sich selbst immer unwahrscheinlicher zu machen. Darüber<br />
hinaus gilt aber: Je wahrscheinlicher es wird, dass wir<br />
ein Wunder finden, <strong>des</strong>to unwahrscheinlicher wird es<br />
zugleich. Und in dieser Kippfigur liegt der Trick, der zu<br />
einer plötzlichen Vermehrung <strong>des</strong> Wunderbaren führt.<br />
«Sich unwahrscheinlich machen» — dies ist es, was<br />
wir als Politik der Wundersuche bezeichnen wollen. Das<br />
Wunder ist eben nicht nur das Wunder, auf das man nur<br />
noch hoffen kann, während man sich ansonsten mit den<br />
Verhältnissen abfinden muss. Wenn es unwahrscheinlich<br />
ist und immer unwahrscheinlicher wird, dass sich eine<br />
politische Entwicklung zum Besseren wendet, so versucht<br />
die Wundersuche, in eine Logik <strong>des</strong> Unwahrscheinlichen<br />
vorzustoßen, Unwahrscheinlichkeitsfelder zu finden, zu<br />
nähren und miteinander zu verknüpfen.<br />
Wie also generiert man einen «Unwahrscheinlichkeitsdrive»?<br />
Mit der Auswertung der «Wunder von Bochum»<br />
entwickelte sich diese Frage zur aktuellen Forschungsfrage<br />
der Geheimagentur und zum voraussichtlichen Thema<br />
einer Geheimagentur-Akademie, die im kommenden Jahr<br />
durchgeführt werden soll. Sachdienliche Hinweise werden<br />
erbeten an: post@geheimagentur.net