17 Le Roy ([wie Anm. 1], S. 1) macht Angaben zur Struktur <strong>des</strong> Raumes, zur Beleuchtung, zur technischen Ausstattung sowie zu den Requisiten und gibt Anweisungen zur ‹wissenschaftlichen› Art <strong>des</strong> Textvortrags: «The text […] should be read as clearly as possible. The performance should [...] present each element as a matter of fact, trying not to emphasize any of the aspects. Try to perform w<strong>ith</strong>out irony, sarcasm, romanticism, or any affect that could transform the facts. The performance of each element should stay as close as possible to fact.» _– _– _– 56 18 Le Roy (wie Anm. 1), S. 13. Fünftens Die Ambivalenzen, die «Product of Circumstances« auf struktureller Ebene charakterisieren und die die Vortragsteile in eine Performance bzw. die Bewegungsdemonstrationen in eine Lecture transformieren, werden auch im Zuge einer Fokussierung der Entwicklungsgeschichte dieser Lecture Performance auf das Spannungsverhältnis von Lecture und Performance deutlich. Indem Le Roy seine Arbeit seit 1999 wiederholt präsentiert hat, wurde die Lecture mehr und mehr zur Aufführung im Sinne einer Aktualisierung eines vorgängig schriftlich fixierten Skriptes. ZuschauerInnen können dies an dem wachsenden Zeitraum zwischen dem Ende der referierten Biographie (1998) und dem Zeitpunkt der Aufführung erkennen, da Le Roy die Lecture Performance nicht ‹weiter› geschrieben hat, sondern unverändert ließ. Das Paradox dieser Entwicklung gipfelt darin, dass Le Roy das Skript seiner Performance veröffentlicht und ihm kursiv gedruckte, instruktive Passagen hinzufügt, die wie die Didaskalien eines Theatertextes nicht gesprochen werden sollen. Weist allein die Existenz dieses instruktiven Textes darauf hin, dass es sich im Falle seiner Aktualisierung um die Performance einer Lecture, um die Aufführung eines Vortrags, handelt, so lässt sich an diesen Instruktionen auch das konstruktive Element festmachen, dass jeder Wissenschaftskommunikation eignet. Interessanterweise schreiben diese Instruktionen nämliche gerade das fest, was Vortragstexte in der Regel nicht schriftlich fixieren: die Vortragsperformance[17] — und dokumentieren zugleich die Unmöglichkeit dieses Unterfangens. So geraten die Referenzbereiche von Lecture und Performance in der schriftlichen Fixierung in ein solches Spannungsverhältnis, dass sich eine Defiguration von Evidenz ereignet. Vielleicht erklärt dies auch, warum eine Kopie der Performance durch andere zwar bislang aussteht, wohl aber auf der Grundlage <strong>des</strong> Skripts bereits zwei Lecture Performances, Petra Sabischs «Kontaminiert» (27.01.2005, atelierfrankfurt) und Vera Knolles «I didn’t mean to hurt you» (05.01.2006, atelierfrankfurt) sich (zum Teil kritisch) mit Le Roys Arbeit auseinandersetzen. Sechstens Wenngleich die Aufmerksamkeit dieses Beitrags vor allem den reflexiven Möglichkeiten der Lecture Performance im Hinblick auf den Vortrag als Format <strong>des</strong> ereignishaften Hervorbringens von Wissen und <strong>des</strong>sen Kommunikation galt, darf nicht vergessen werden, dass erst die Vielzahl von Arbeiten, die im Anschluss an oder als Antwort auf Xavier Le Roys «Product of Circumstances» das Format der Lecture Performance aufgriffen und von denen die 20 von Unfriendly Takeover im Rahmen seiner Reihe gezeigten nur einen Teil ausmachen, das Interesse an diesem Genre generierte. Wenn man von einer (wissenschafts-)theoretischen Perspektive Abstand nimmt und die Lecture Performance aus der Sicht von ProduzentInnen und RezipientInnen zu betrachten versucht, so sind möglicherweise andere Aspekte <strong>für</strong> die Attraktivität <strong>des</strong> Formats relevant. Neben der Möglichkeit, die eigene Arbeit und mit ihr die eigene Biographie zu reflektieren, könnte ein Aspekt etwa darin liegen, dass bei Lecture Performances auch das Sich-zur-Diskussion-Stellen Teil der Aufführung ist. Aufgrund der zum Vortrag gehörenden Diskussion im Anschluss an die Präsentation stellen Lecture Performances eine Kommunikationssituation her, die die Grenze zwischen ZuschauerIn und PerformerIn stärker minimiert als beispielsweise die im Anschluss an Theaterproduktionen veranstalteten Aufführungsgespräche, in denen ProduzentInnen und RezipientInnen in dieser starren Rollenverteilung aufeinander treffen. Zudem zeichnet sich der in Lecture Performances aufgerufene Vortragsrahmen dadurch aus, dass sich ein Vortrag im Unterschied zur Vorlesung eher an ein bereits über (Vor-)Wissen verfügen<strong>des</strong> Publikum wendet. Das der Lecture Performance implizite Ideal einer Kommunikation zwischen PerformerIn und ZuschauerIn ‹auf Augenhöhe› formuliert auch Le Roy am Ende seiner Lecture Performance, wenn es in der ‹Regieanweisung› im Anschluss an das als Motto vorangestellte Zitat heißt: «I go to the audience to answer their questions and try to change my position as relative to the audience, so that I am not in front of them but w<strong>ith</strong>in them.»[18]
57 FLorIan DomboIs Kunst aLs Forschung BeIspIeL: «LugInsLand» (2006) Am Objekt seiner kürzlich in der Kunsthalle Bern realisierten seismographischen Installation «Luginsland» denkt Florian Dombois über die Verschränkung von Kunst und Forschung, die lebensanbindende Rolle der Technik und die gesellschaftliche Funktion einer Kunsthalle nach. In Anlehnung an Boris Groys, der die Museen als «Friedhöfe der Dinge», das Kunstmuseum dagegen als Ort, wo die toten Dinge wieder auferstehen, bezeichnete, erläutert der Autor mittels der selbstreflexiven Beschreibung seine eigene künstlerische Haltung und die Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst.