PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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31 — # 08/09 (Dezember 2006)<br />
Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong><br />
der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>)<br />
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1 Vgl. Georg Franck, Ökonomie der<br />
Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München 1998.<br />
III<br />
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit<br />
erforschen<br />
«Schickt Nachrichten an andere Zellen! Empfangt<br />
Nachrichten von anderen Zellen!» — diese letzte Trainingsanweisung<br />
fand eine Umsetzung in «respekt: geben<br />
was man nicht hat», einer Veranstaltung am Hamburger<br />
Schauspielhaus. Von der Gage kauften wir Eintrittskarten<br />
<strong>für</strong> den Abend und setzten ‹Respekt-Ketten› in Gang: Sieben<br />
Personen (und dann viele weitere) erhielten folgenden<br />
Brief, handschriftlich auf Büttenpapier:<br />
«Lieber xy,<br />
es ist nicht unbemerkt geblieben, dass Du in den Ökonomien<br />
<strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>, der Macht und <strong>des</strong> Ruhms nicht auf<br />
Profitmaximierung aus bist. Statt<strong>des</strong>sen zeichnet sich<br />
Dein Spiel durch Umwegigkeit, Verweigerung und Verschwendung<br />
aus. Das gefällt. Deine subversiven Praktiken<br />
und Guerillataktiken, Dein Stil <strong>des</strong> Widerstands<br />
geben immer wieder Anlass zu Hoffnung.<br />
— Respekt —<br />
Auf besondere Empfehlung von xy sollst Du als vielversprechender<br />
Mitstreiter geehrt werden. Diese persönliche<br />
Ehrung wird am x.x. im Schauspielhaus stattfinden.<br />
Außerdem erwartet das Organisationskomitee Deinen<br />
Vorschlag: Wen empfiehlst Du als vielversprechende<br />
Mitstreiterin bzw. als vielversprechenden Mitstreiter?<br />
Wer soll mit Dir geehrt werden?<br />
Mit klan<strong>des</strong>tinem Gruss<br />
Die Geheimagentur»<br />
Sodann interviewte die Geheimagentur alle «Respektspersonen»<br />
und befragte sie über die Gründe ihres Vorschlags<br />
<strong>für</strong> den jeweils nächsten Ehrengast. So entwickelten sich<br />
Video-Laudationes, die am fraglichen Abend präsentiert<br />
wurden. Einleitend verkündete die Geheimagentur im<br />
Großen Saal <strong>des</strong> Schauspielhauses neueste Erkenntnisse:<br />
«Wer sich in der Gesellschaft <strong>des</strong> Spektakels etablieren<br />
will, muss seine Arbeit mit einem Namen verknüpfen<br />
und auf der Wichtigkeit dieser Verbindung bestehen.<br />
Kultur und Politkultur sind so organisiert, dass sich Aufmerksamkeit<br />
und Respekt in soziales Kapital verwandeln:<br />
Wer einmal die Aufmerksamkeit auf sich gezogen<br />
hat, hat gute Chancen, wieder und dann wieder und<br />
dann irgendwann ganz von selbst <strong>für</strong> wichtig gehalten<br />
zu werden. Auch diese Akkumulation geht mit Verknappung<br />
einher; und auch dieser Kapitalismus ist zum<br />
Kotzen. Denn der Mangel an Aufmerksamkeit, an Anerkennung,<br />
an Respekt kapitalisiert viele, die auf das dicke<br />
Geld gerne verzichten. Irgendwann ist man bereit, um<br />
das knappe Gut zu konkurrieren. Dann macht man selbst<br />
bei der Verknappung mit.<br />
Welche Chancen hat da das offene Kollektiv? Wie<br />
sind die Ressourcen <strong>des</strong> Schauspielhauses einem offenen<br />
Kollektiv zur Verfügung zu stellen? Ist es möglich,<br />
den Repräsentationsraum Schauspielhaus so umzukehren,<br />
dass er Aufmerksamkeit fortzeugt und verteilt, statt<br />
sie zu verknappen und zu akkumulieren?»<br />
Obwohl die Geheimagentur und «respekt» zunächst in<br />
Reaktion auf die interne Gewalt linker Kollektive entstanden<br />
waren, stellte sich nun heraus, dass die Struktur der<br />
Geheimagentur sich auch als Werkzeug eignet, um mit<br />
jener Ökonomie der Aufmerksamkeit umzugehen,[1] in die<br />
eintritt, wer sich als Künstler ‹einen Namen macht›. Nicht<br />
nur, dass «respekt» sich selbst gegen die Verknappung von<br />
Aufmerksamkeit richtete. Mit der Anonymität der Geheimagentur<br />
war auch einem weiteren Problem zu begegnen:<br />
Sobald es künstlerischen Aktionen gelingt, einer größeren<br />
Anzahl von Leuten einen Handlungsraum zu eröffnen,<br />
stellt sich die Frage, wer das von diesem Kollektiv erarbeitete<br />
kulturelle Kapital akkumuliert. Die Antwort liegt<br />
auf der Hand: Der Künstler oder die Gruppe, der/die die<br />
Aktion signiert, streicht — einem Unternehmen gleich<br />
— auch das kulturelle Kapital ein. Vor allem durch diesen<br />
Mechanismus kann sich ‹politische› Performance-Kunst<br />
am Kunstmarkt etablieren. Die Anonymität der Geheimagentur<br />
kommt vor diesem Hintergrund einer Art Sozialisierung<br />
gleich: Alle, die in irgendeiner Form an einer<br />
Aktion der Geheimagentur beteiligt sind — und sei es als<br />
Zuschauer —, haben das Recht und die Möglichkeit, ihre<br />
Miturheberschaft geltend zu machen. Während es also<br />
‹verboten› ist, sich im Zuge einer Aktion öffentlich, etwa<br />
der Presse gegenüber, als ‹kreativer Kopf› <strong>des</strong> Ganzen in<br />
Szene zu setzen, ist es prinzipiell allen erlaubt, in Anträgen<br />
und Bewerbungen alle Aktionen der Geheimagentur<br />
<strong>für</strong> sich zu reklamieren und das entsprechende kulturelle<br />
Kapital zu nutzen.<br />
)