09.03.2014 Aufrufe

PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith

PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith

PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

21<br />

besitze, sinngemäß geantwortet: «Ich<br />

habe viele Bücher, aber ich besitze keines.<br />

Die Bücher besitzen mich.» Besessenheit<br />

von <strong>Theorie</strong> statt Belesenheit<br />

— in dieser Produktionsformel durchquert<br />

der Maschinenbegrif von Deleuze<br />

jenen von Warhol.<br />

I<br />

Der erste naive Gedanke, wenn<br />

vom ‹Verlegen› die Rede ist, könnte<br />

lauten, dass wir es mit etwas zu tun<br />

haben, was abgelegt wurde und dann<br />

zunächst nicht wieder aufzufinden ist.<br />

Vielleicht, das ist aber nicht gesichert,<br />

lässt es sich zu einem späteren Zeitpunkt<br />

wieder finden. Falls wir es wieder<br />

finden sollten, liegt es dann möglicherweise<br />

an einem anderen Ort, als<br />

zwischenzeitlich vermutet? Oder es<br />

findet sich nie wieder und fällt entweder<br />

dem Vergessen anheim, oder bleibt<br />

ein auf ewig Verlegtes, an das wir von<br />

Zeit zu Zeit erinnert werden, begleitet<br />

von dem sachte schalen Gefühl der<br />

Erfolglosigkeit unserer Suche. Es gibt<br />

im Alltäglichen einige Gegenstände,<br />

die sich offenbar bevorzugt als Akteure<br />

<strong>des</strong> Verlegens eignen: Schlüssel, Brillen,<br />

Geldbörsen gehören dazu. Neben<br />

diesen handfesten Dingen, an denen die<br />

ihnen eignende Mittlerfunktion aufällt,<br />

lässt sich mit gleichem Recht Ungegenständliches<br />

aufzählen: Namen, Begriffe,<br />

Gedanken. Die Techniken, die wir<br />

anwenden, um dem Verlegen zu begegnen,<br />

sind solche der Prävention, oder,<br />

wenn es zu spät ist, der Recherche oder<br />

(Selbst-)Befragung, der Suche. Die Prävention<br />

setzt bei den Gegenständen<br />

gerne mit einer Fixierung <strong>des</strong> Ortes ein,<br />

an welchem wir sie aufzubewahren<br />

pflegen: Eine bestimmte Tasche, ein<br />

Haken, ein festgelegter Platz. Oder wir<br />

versuchen es mit einem Verweis, dem<br />

altmodischen Knoten im Taschentuch,<br />

der Bitte an jemanden anderen, sich an<br />

der Vorsorge zu beteiligen. Das Ungegenständliche<br />

lässt sich mit Notizen,<br />

Zettelkästen und seit kurzer Zeit mit<br />

einer großen Festplatte in Massen vor<br />

dem Verlegtwerden absichern. Die Recherche<br />

oder Suche lässt sich, wie wir<br />

wissen, mit der Tätigkeit eines Sherlock<br />

Holmes ausführlich und hinreichend<br />

beschreiben. Für den Verleger<br />

ergibt sich daraus eine grundsätzlich<br />

unauflösbare Position: Er professionalisiert<br />

eine Operation, die zwischen<br />

dem unerreichbaren Original und dem<br />

seinerseits tendenziell uneinlösbaren<br />

Verweis darauf oszilliert. Seine Arbeit<br />

verhindert und verbindet zugleich bei<strong>des</strong>:<br />

Das Auffinden der Quelle wie die<br />

Endgültigkeit <strong>des</strong> Verweises.<br />

II<br />

Aus dieser Position, die sich<br />

selbst in eine Denk- und Handlungsfigur<br />

der Nichtpositionierbarkeit<br />

setzt, ergibt sich die Primärtugend <strong>des</strong><br />

Verlegers und die zweite Markierung<br />

der hier angegangenen Topographie:<br />

die Verlegenheit. Wir schätzen selbstredend<br />

gerne das anscheinend Entgegengesetzte,<br />

die souveräne Behauptung,<br />

das gewagte Statement, die offensive<br />

Setzung. In Verlegenheit zu geraten,<br />

wird allererst einmal aus der Innensicht<br />

als prekär und unangenehm wahrgenommen.<br />

Ein heikler Zustand, der<br />

sich an den Rändern der Peinlichkeit<br />

und der Scham entlang bewegt, verunsichert,<br />

auf schwankendem Boden. Die<br />

ansetzende Rötung der Haut, das Fehlen<br />

der richtigen Worte, die Übersprungshandlung,<br />

eine inverse Spannung,<br />

die keinen passablen Ausweg<br />

weiß. Von außen betrachtet lässt sich<br />

einem solchen Zustand im besten Falle<br />

noch ein gewisser Charme abgewinnen,<br />

aus dem Blickwinkel <strong>des</strong> Verführers<br />

etwa, in der Regel aber wird die<br />

Verlegenheit als ein Scheitern am Vorgenommenen<br />

empfunden, das <strong>des</strong>to<br />

größer ist, je höher die Vorgabe war.<br />

Aus diesem Misslingen nährt sich die<br />

Verlegenheit und erzwingt eine Pause,<br />

in der alle Parameter eines Vorhabens<br />

noch einmal in Frage gestellt werden.<br />

Der Modus der Verlegenheit ist der<br />

einer unberechenbaren Unterbrechung,<br />

die keine gesicherte Fortsetzung einschließt.<br />

Der Verleger trägt zum einen<br />

Sorge, dass seine eigene Tätigkeit sich<br />

aktiv in diesen Modus versetzt, der<br />

gewöhnlich diversen Vermeidungsformen<br />

anheim fällt. Zum anderen grenzt<br />

er die Verlegenheit gegen ihre genannte<br />

missratene Verwandtschaft ab und<br />

hält sie in aller Riskanz offen <strong>für</strong> die<br />

kommende souveräne Behauptung.<br />

)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!