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PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith

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31 — # 08/09 (Dezember 2006)<br />

Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong><br />

der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>)<br />

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sondern auf die Anordnung aller Teile,<br />

die dann immer mehr hergeben sollte<br />

als die einzelne Aktion. Gegen Popularisierung<br />

habe ich also gar nichts, ich<br />

frage mich inzwischen vielmehr, wie<br />

nachhaltig solche Aktivitäten überhaupt<br />

sind. Beschäftigt sich das Publikum im<br />

Anschluss an solche Veranstaltung mit<br />

dem Thema weiter? Das ist natürlich<br />

schwer abzuschätzen. Womit ich mir<br />

aber sicherer bin, ist die Nachhaltigkeit<br />

<strong>für</strong> die Beteiligten. Da gab es unter den<br />

Beteiligten, die ja aus unterschiedlichen<br />

Szenen wie der Kunst, dem politischen<br />

Aktivismus, der Wissenschaft oder dem<br />

Alltag kommen, nach den Veranstaltungen<br />

im Hamburger Schauspielhaus<br />

weitere Zusammenarbeiten.<br />

GZ Diese Frage stellt sich jeder, der in<br />

öffentlichen Räumen <strong>für</strong> ein lokales<br />

Publikum arbeitet. Ich vermute mal,<br />

dass ein Theaterpublikum immer noch<br />

eher unterhalten werden möchte und<br />

konsumiert. Wohingegen die Theoretiker<br />

oder auch Aktivisten es gewohnt<br />

sind, kontinuierlich an Themen weiterzuarbeiten.<br />

MH Wir wissen es nicht, da<strong>für</strong> bräuchten<br />

wir empirische Publikumsforschung<br />

<strong>für</strong> solche Schnittstellenprojekte.<br />

GZ Aus Sicht der <strong>Theorie</strong> stellt sich ja<br />

immer die Frage, ob es <strong>für</strong> die <strong>Theorie</strong><br />

wirklich etwas bringt, solche theatralen<br />

Situationen herzustellen. Stellen sich<br />

durch andere Inszenierungen wirklich<br />

andere Fragen? Oder sitzen wir damit<br />

genauso wie das Cinemax, die Großausstellung<br />

oder das Fernsehen der ‹Eventisierung›<br />

der Gesellschaft auf? <strong>Theorie</strong><br />

als pure Unterhaltung?<br />

MH Wir haben ja mit dem <strong>ith</strong> das Projekt<br />

re/location, no. 1 Sanatorium koproduziert,<br />

an dem du auch beteiligt warst.<br />

Dort gab es die <strong>Theorie</strong>-Therapie, in<br />

der sehr prominente und nicht so bekannte<br />

Theoretiker als ‹Therapeuten›<br />

saßen und verschiedene <strong>Theorie</strong>-Therapien<br />

angeboten haben. Das Spektrum<br />

reichte von «Links-Helgeianismus»<br />

(Helge Schneider und Hegel), zur Dekonstruktion,<br />

Phänomenologie oder<br />

«Geschlächtertherapie« (Schlacht und<br />

Geschlecht). Die Zuschauer konnten<br />

sich in Einzelsitzungen in einer abgeschlossenen<br />

Koje sieben Minuten beraten<br />

lassen.<br />

So ein Projekt ist natürlich sehr<br />

unterhaltsam und liefert <strong>Theorie</strong> im<br />

Kurzformat, weshalb es dann (ebenso)<br />

natürlich bestimmte Komplexitäten<br />

nicht leisten kann. Die <strong>Theorie</strong>-Therapie<br />

war aber nicht nur immer ausgebucht,<br />

was auf ein großes Interesse<br />

vonseiten <strong>des</strong> Publikums deutete, sondern<br />

das Publikum hat <strong>Theorie</strong> auch<br />

anders erfahren als üblich. Publikum<br />

wie Theoretiker erzählten anschließend<br />

beide, dass die Eins-zu-eins-Situation<br />

eine völlig andere Konfrontation mit<br />

der <strong>Theorie</strong> bedeutet habe.<br />

GZ Ein anderes Format macht nur Sinn,<br />

wenn es an den Inhalt gekoppelt ist. Im<br />

Falle der <strong>Theorie</strong>-Therapie lag gerade<br />

in der Kürze der Witz. Diese erleben<br />

wir oft, wenn wir in eine Therapie<br />

gehen, hingegen selten, wenn wir uns<br />

mit <strong>Theorie</strong> beschäftigen. Die Umkehrung<br />

der Zeitverhältnisse war gut, weil<br />

man plötzlich merkte, dass Länge einer<br />

Therapie und Kürze der <strong>Theorie</strong> gut<br />

tun könnte. Ein sehr überraschender<br />

Effekt. Eine Kunststudentin erzählte<br />

mir, dass ihr von einer Therapeutin<br />

diverse Bücher <strong>des</strong> Philosophen Hans<br />

Blumenberg — wahrlich nicht einfach<br />

zu lesen — empfohlen wurden, woraufhin<br />

sie gleich einige bestellt habe.<br />

Das finde ich einen Riesenerfolg. Trotzdem:<br />

Belächeln die Theoretiker am<br />

Ende das tiefe Niveau, und <strong>für</strong> den Rest<br />

<strong>des</strong> Publikums ist die <strong>Theorie</strong>, die ja als<br />

Genre einen schlechten Ruf genießt,<br />

immer noch viel zu spröde?<br />

MH Weder noch. Beim Erklären der<br />

Zinsen anhand <strong>des</strong> Zerschneidens <strong>des</strong><br />

Geldscheines hat mir niemand gesagt,<br />

dass das Niveau zu tief oder die Präsentation<br />

zu trocken war. Im Gegenteil:<br />

Das Bild war so stark, dass beide Seiten<br />

etwas davon lernen konnten. Und da<br />

man wusste, dass das Bild von einem<br />

sehr professionellen Theoretiker kreiert<br />

wurde, gab es gerade eine große<br />

Glaubwürdigkeit.<br />

Vielleicht sollten wir noch etwas<br />

über die Ökonomie als <strong>Theorie</strong> und<br />

Praxis reden. Da ich vor meinem Regiestudium<br />

Ökonomie studiert habe, interessieren<br />

mich gesellschaftliche Themen<br />

vor allem aus dieser Sicht. Ob<br />

Widerstand, Gesundheit/Krankheit<br />

oder Heimat — mich interessiert der<br />

Kapitalismus als Form der Ökonomie<br />

und dabei vor allem der kapitalismuskritische<br />

Blick auf alle Themen. Der<br />

Kapitalismus ist so alltäglich und dabei<br />

gleichzeitig so komplex, dass wir Begriffe<br />

und Praktiken zu Geld und zu<br />

Werten, die durch diesen hergestellt<br />

werden, oft gar nicht mehr hinterfragen.<br />

Man konsumiert einfach mit all<br />

seinen positiven und negativen Konsequenzen.<br />

Ökonomie ist ja kein wertneutraler<br />

Mechanismus, wie es viele Ökonomen<br />

behaupten. Kapitalismus basiert<br />

auf bestimmten Normen und Werten,<br />

die ich hinterfrage.<br />

GZ In der Kunst und <strong>Theorie</strong> gibt es<br />

einige sehr radikale Kapitalismuskritiker,<br />

die sich jedoch mit ihrer Kritik so<br />

im Off bewegen, dass niemand zuhört.<br />

Sie reden zwar über Partizipation, Kollaboration<br />

etc., lassen aber niemanden<br />

partizipieren und kollaborieren auch

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