PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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III<br />
Die gerne in Vergessenheit<br />
geratende psychotechnische<br />
wesentliche Grundlage <strong>des</strong> Verlegens<br />
ist die zeitaufwändig und mit einem<br />
gerüttelten Maß an Ausdauer zu erwerbende<br />
Technik <strong>des</strong> stummen Lesens,<br />
die dem eher viral verlaufenden Spracherwerb<br />
nachgeht. Mit einer etwas<br />
gewagten metonymischen Volte ließe<br />
sich das Verlegen for-the-sake-of-thisarticle<br />
als Ver-legere, als Verlesen, auslegen.<br />
Damit sind gleich zwei aufeinander<br />
bezogene Leseweisen gewonnen,<br />
die das Lesen, wie es in der Verlagsarbeit<br />
praktiziert wird, auffächern. Zum<br />
einen wird so der Aspekt der Auslese<br />
sichtbar, eine unablässige Filterung all<br />
<strong>des</strong>sen, was tagtäglich in gedruckter<br />
oder immer häufiger an einem Bildschirm<br />
generierter Form erscheint. Die<br />
Filterung findet auf verschiedenen Ebenen<br />
statt; banalerweise zuunterst auf<br />
der Ebene <strong>des</strong>sen, was überhaupt in<br />
den Verlag gelangt und was man aufgrund<br />
der eigenen Fähigkeit, Schriften<br />
zu lesen, überhaupt zu dechiffrieren in<br />
der Lage ist. Erst dann folgen die reflektierteren<br />
Filter, die Geschmack, Stil,<br />
Relevanz usf. anrechnen. Dass diese<br />
Filter inkonsistent und letztlich inkommensurabel<br />
bleiben, da<strong>für</strong> sorgt, zum<br />
anderen, der zweite Aspekt <strong>des</strong> Verlesens<br />
— der der notwendig missverstehenden<br />
Aneignung aller Texte. Daran<br />
ändern auch alle Brief-/E-Mail-Wechsel<br />
oder Gespräche mit AutorInnen nichts,<br />
die, wenn sie denn ihrerseits veröffentlicht<br />
werden, ein entsprechend beredtes<br />
Zeugnis von diesem Verhältnis<br />
abgeben. Alle Hoffnung — sowohl der<br />
AutorInnen als auch der LeserInnen<br />
—, das Verlegen als zur Gänze nachvollziehbaren<br />
Vermittlungsprozess zu deuten,<br />
ist Makulatur. Verlegen unterscheidet<br />
nicht um der Unterscheidung willen,<br />
sondern weil die Unterscheidung<br />
die Voraussetzung <strong>des</strong> Verlegens ist.<br />
IV<br />
Damit steht die Tür offen <strong>für</strong><br />
einen Kunstbegriff, <strong>für</strong> den der<br />
<strong>des</strong> Verlegens ein weiteres Mal seziert<br />
werden muss: Die Verlage, Singular,<br />
die mit der großen Lagebesprechung<br />
abrechnende und zugleich an sie anknüpfende<br />
Markierung, die Michel Foucault<br />
mit dem akademieaffineren Titel<br />
‹Heterotopie› versehen hat. Seine Beschreibung<br />
bleibt gleichwohl gültig:<br />
«[W]as mich interessiert, das sind unter<br />
all diesen Plazierungen diejenigen, die<br />
die sonderbare Eigenschaft haben, sich<br />
auf alle anderen Plazierungen zu beziehen,<br />
aber so, daß sie die von diesen bezeichneten<br />
oder reflektierten Verhältnisse<br />
suspendieren, neutralisieren oder<br />
umkehren.»[2] Platzierungen lassen<br />
sich, ohne den Bezug auf Lacan aufgeben<br />
zu müssen, und nur darum sei es<br />
hier notiert, auch als Lagen denken und<br />
schreiben. Das großartige und hier<br />
bewusst strapazierte Präfix ‹Ver› versetzt<br />
die Lage in eine der dreifachen<br />
Bezugnahme: Suspension, Neutralisierung<br />
und/oder Umkehrung der originär<br />
bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse.<br />
Drei Techniken, die — exakt und<br />
bis heute gültig — die Deformationen<br />
von Information eingrenzen, mit der<br />
es die genuin ästhetisch grundierte<br />
Arbeit <strong>des</strong> Verlegens aufnimmt. Dies<br />
schließt ausdrücklich die Bezugnahme,<br />
oder wie es inzwischen weniger präzise<br />
heißt: die Vernetzung <strong>des</strong> Verlages<br />
mit so diversen öffentlichen oder privaten<br />
Lagen wie der Kunst, der Politik<br />
oder der Ökonomie ein.<br />
22<br />
2 Michel Foucault, «Andere Räume» (1967),<br />
in: Karlheinz Barck / Peter Gente / Heidi Paris /<br />
Stefan Richter (Hgg.), AISTHESIS. Wahrnehmung<br />
heute oder Perspektiven einer anderen<br />
Ästhetik, Leipzig 1990, S. 34-46, hier: S. 38.