PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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2 Autonome A.F.R.I.K.A.-Gruppe / Luther<br />
Blissett / Sonja Bruenzels, Handbuch der<br />
Kommunikationsguerilla, Berlin 1994.<br />
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IV<br />
Definalisierte Taktiken:<br />
die Affirmation suchen<br />
«Dem offenen Kollektiv Spielraum zur Verkettung<br />
geben» oder «die gegebenen Ressourcen zur Vermehrung,<br />
nicht zur Verknappung verwenden» — <strong>für</strong> die Geheimagentur<br />
wandelte sich die <strong>Theorie</strong>-Praxis-Differenz in ein<br />
Kontinuum von Taktiken. Taktiken, die kein klares Ziel<br />
verfolgen, genauer: Taktiken, die immer auch das Ziel<br />
selbst zum Mittel machen. Wie sieht Forschung in einem<br />
Feld definalisierter Taktiken aus?<br />
Der beste Moment von «respekt: geben was man nicht<br />
hat» schien im Öffnen <strong>des</strong> Briefes zu liegen: Was da zu<br />
lesen war, ist in gewisser Weise zu schön, um wahr zu sein.<br />
Das schien ein Jux oder eine Fiktion zu sein und erwies sich<br />
dann doch als ein realer Vorgang. Dies wurde <strong>für</strong> die<br />
Geheimagentur im Folgenden zu einem wichtigen Suchbild.<br />
Es sollte nicht mehr nur darum gehen, die bestehenden<br />
schlechten Verhältnisse zu negieren, sondern gleichzeitig<br />
und darüber hinaus darum, neue Realitäten entstehen zu<br />
lassen. Fortan suchte die Geheimagentur die Affirmation<br />
und überantwortete sich der Logik <strong>des</strong> Wunsches. Die Frage<br />
lautet: Welchen Wunsch können wir uns und anderen<br />
erfüllen m<strong>ith</strong>ilfe der Ressourcen, die uns <strong>für</strong> ‹politische Performance-Kunst›<br />
zur Verfügung gestellt werden?<br />
Im Zentrum Frankfurts, gleich unter den Türmen der<br />
Deutschen Bank, steht ein Geldtransporter, davor ein Aufsteller,<br />
auf dem zu lesen ist:<br />
! Geld gratis ! Bank of Burning Money ! Geld gratis !<br />
Für die Nutzung ihrer Serviceleistungen stellt die Bank<br />
of Burning Money jedem Erstkunden eine echte Banknote<br />
gratis zur Verfügung! Werden Sie Kunde: Verbrennen<br />
Sie eine Banknote in unserem mobilen Geldbrenner!<br />
Die Bank of Burning Money ist eine Art Straßenversion<br />
von «Asche zu Asche», und sie hält ihr Versprechen: Das<br />
Geld ist echt, und gratis ist es auch. Im Zentrum von Ökonomie<br />
und Konsum machen Passanten von ihrem Recht<br />
auf Verschwendung Gebrauch.<br />
Das Recht auf Verschwendung — dieses galt es zu affirmieren.<br />
Allerdings hatte der Vorstand der Deutschen Bank<br />
gerade einen neuen Umsatzrekord und zugleich immense<br />
Stellenstreichungen verkündet. Nicht nur in Frankfurt war<br />
man sauer — und unversehens schien die Bank of Burning<br />
Money nicht mehr ‹die Affirmation zu suchen›, sondern vielmehr<br />
der Figur der kritischen Überaffirmation zu folgen.<br />
(Die Figur der kritischen Überaffirmation: eine Taktik,<br />
die vor allem durch das Handbuch der Kommunikationsguerilla<br />
verbreitet worden ist und letztlich darauf beruht,<br />
einer Gesellschaft <strong>des</strong> Spektakels den Spiegel vorzuhalten.[2]<br />
Zahlreiche Aktionen haben se<strong>ith</strong>er bestehende<br />
gesellschaftliche Verhältnisse in Form einer Art unsichtbaren<br />
Theaters überdreht. Auf diese Weise können hin und<br />
wieder Autoritäten entlarvt werden, die selbst diese ins<br />
Absurde getriebene Extrapolation der Realität noch zu<br />
unterstützen bereit sind; gelungen ist dies zum Beispiel mit<br />
der WTO-Camouflage der YES MEN. Zuweilen konnte man<br />
auch öffentliche Irritationen auslösen, wie beispielsweise<br />
im Fall der Gruppe Urbane Panik, der es gelungen war, den<br />
Sicherheitsdienst am Hamburger Hauptbahnhof <strong>für</strong> mehrere<br />
Stunden ‹abzulösen›, also durch eine selbst aufgestellte<br />
Security-Truppe zu ersetzen, die dann kontrollierte, ob die<br />
Passanten auch ausreichend konsumierten, um ihren Aufenthalt<br />
im Bahnhof zu ‹legitimieren›.)<br />
Solche Aktionen sind ambivalent: Einerseits ist es<br />
schwer erträglich, Kräfte in den Aufbau einer alternativen<br />
Realität zu investieren, die die gegebene an Fürchterlichkeit<br />
noch überbietet. Andererseits gibt es in jeder dieser Aktionen<br />
ein utopisches Moment, insofern es überhaupt gelingt,<br />
eine alternative Realität entstehen zu lassen.<br />
Im Fall der Bank of Burning Money lautete die Frage<br />
also: Wie die Figur der kritischen Überaffirmation durchlässig<br />
machen, hin auf ein tatsächlich affirmatives Moment?<br />
Uns scheint, dass hier vor allem nach Strategien der Ermächtigung<br />
zu suchen ist: Ermächtigt die entstehende alternative<br />
Realität lediglich die Macher, das heißt, ermächtigen sie<br />
sich in erster Linie selbst? Oder ermächtigt sie auch und<br />
vor allem die ‹unbeteiligten Beteiligten›? Und hieße das<br />
nicht auch, ein wesentliches Informationsgefälle zwischen<br />
Machern und Beteiligten, vor allem ein Informationsgefälle<br />
zugunsten der ersteren, zu vermeiden?<br />
Die Taktik ‹die Affirmation suchen› schärfte sich im<br />
Umgang mit der Frage nach der Ermächtigung — und zwar<br />
nicht nur in politischer, sondern auch in ästhetischer Hinsicht.<br />
Sie stellt nämlich die Idee <strong>des</strong> unsichtbaren Theaters<br />
(und damit zugleich die Ästhetik <strong>des</strong> bürgerlichen Theaters)<br />
vom Kopf auf die Füsse: Beide Formen sind prinzipiell<br />
fiktiv, versuchen dabei jedoch, und sei es im Durchgang<br />
durch Verfremdungen aller Art, so wirklich beziehungsweise<br />
authentisch wie möglich zu wirken. Die Geheimagentur<br />
geht genau umgekehrt vor und macht sich auf die Suche<br />
nach Aktionen, die wie Fiktionen wirken, dann aber doch<br />
— überraschenderweise — den Realitätstest bestehen.