PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
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3 Vgl. etwa Giorgio Agamben, Die kommende<br />
Gemeinschaft (2001), Berlin 2003<br />
(= Internationaler Merve-Diskurs 252), S. 10.<br />
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<strong>Theorie</strong> an einer Hochschule der Künste<br />
müsste sich in erster Linie mit dieser<br />
Art Einspruch gegen die Ideologie <strong>des</strong><br />
polarisierenden Doppellebens befassen<br />
und an den Übergängen arbeiten. Damit<br />
begibt sie sich in eine konfliktreiche<br />
Konstellation, findet darin ihren Sitz im<br />
(Doppel)Leben — nicht um zu spalten,<br />
sondern um dem Auseinanderdriften<br />
von Kunst und <strong>Theorie</strong> entgegenzusteuern.<br />
Die Beschäftigung mit und die<br />
Involviertheit in die künstlerischen Prozesse<br />
und Kontexte bieten die Chance,<br />
Projekte in Gang zu setzen, die Schauplätze<br />
der ‹Begegnung› von Künsten<br />
und <strong>Theorie</strong> erfinden und erproben.<br />
Anschlussmöglichkeiten ergeben sich<br />
durch die Tatsache, dass die künstlerische<br />
Praxis Erkenntnisfunktionen hat,<br />
und die Ästhetik die Aufgabe, zu beschreiben<br />
und darzustellen, was deren<br />
erkenntnistheoretische Funktion ausmacht.<br />
Dies ist nicht neu und wiederholt<br />
thematisiert worden. Weniger<br />
selbstverständlich ist die Tatsache, dass<br />
die theoretischen Wissensdiskurse<br />
ihrerseits ästhetische Dimensionen und<br />
Funktionen haben, die ebenfalls durch<br />
die Ästhetik beschrieben und reflektiert<br />
werden. Diese Qualitäten <strong>des</strong> Epistemischen<br />
und Ästhetischen sowie ihre Verschränkung<br />
sind der künstlerischen<br />
und theoretischen Praxis nicht äußerlich,<br />
und sie sind auch nicht beliebig,<br />
sondern konstitutiv <strong>für</strong> den Eigensinn<br />
sowohl der Künste als auch der <strong>Theorie</strong>.<br />
Und genau von diesen spezifischen<br />
Eigenarten <strong>des</strong> Besonderen muss man<br />
ausgehen, um produktive Möglichkeiten<br />
<strong>des</strong> Zu- und Ineinanderführens von<br />
Künsten und <strong>Theorie</strong> zu entwickeln.<br />
Chiastisch sich durchkreuzend, machen<br />
sie ihre je eigenen Latenzen und Überschüsse<br />
sichtbar. Dabei wird ersichtlich,<br />
wie die verschiedenen Bereiche<br />
der Erkenntnis- und Erfahrungsproduktion<br />
sich unterscheiden und gegenseitig<br />
transzendieren. Entscheidend ist, nicht<br />
das Vergleichbare und Gemeinsame zu<br />
beschwören, sondern in der Engführung<br />
das Unterscheiden und die Differenzen<br />
stark zu machen. Der Chiasmus,<br />
der asymmetrisch ist, fokussiert die<br />
jeweiligen Konditionen und Grenzen,<br />
die jedoch nicht als letztgültig, sondern<br />
als kontingent wahrgenommen werden.<br />
Als kontingent und doch nicht unwesentlich.<br />
Denn Kontingenz ist nicht<br />
Beliebigkeit, sondern ein «So-sein»<br />
(Agamben)[3], das den Eigensinn <strong>des</strong><br />
Faktischen ausmacht. Eine der in diesem<br />
Sinn produktiven Nahtstellen und<br />
Übergangszonen, die in der Vernähung<br />
von Künsten und <strong>Theorie</strong> entstehen,<br />
bildet — wie erwähnt — die ästhetische<br />
Erfahrung. In ihr sind die affektiven<br />
Dimensionen der Empfindung und<br />
Wahrnehmung wie auch die diskursiven<br />
Dimensionen der kulturellen Codierungen<br />
und der Reflexion wirksam. Die<br />
Aufgabe der <strong>Theorie</strong> ist es, in der Interaktion<br />
mit den Künsten Schauplätze<br />
und Performativitäten zu entwickeln,<br />
die es möglich machen, dass sich ästhetische<br />
Erfahrung einstellt — was offensichtlich<br />
nur bedingt herstell- und berechenbar<br />
ist. Die Herausforderung<br />
besteht also darin, Situationen zu schaffen,<br />
in denen, möglicherweise, etwas<br />
geschehen sein wird.<br />
<strong>Theorie</strong> soll als ästhetisches Geschehen<br />
ins Spiel gebracht werden. Das bedeutet,<br />
dass sie on stage — ähnlich wie bei<br />
Forschungsprozessen in einem naturwissenschaftlichen<br />
Labor — als Vorgang<br />
inszeniert wird, der nur bedingt<br />
voraussehbar ist. <strong>Theorie</strong> ist Begründungs-<br />
und gleichzeitig Ergründungsarbeit;<br />
sie leistet Bestimmung und Entwürfe.<br />
Das ‹Thema› eines <strong>Theorie</strong>projekts<br />
steckt den Rahmen der Anlage ab<br />
und entwickelt sich als Fragestellung,<br />
die einen Raum eröffnet, indem etwas<br />
ausgelöst wird. Das, was als Gegenstand<br />
analysiert und bestimmt, d.h. theoretisch<br />
gefasst werden soll, ist nicht<br />
vorgegeben, sondern wird als epistemisches<br />
Objekt hergestellt. <strong>Theorie</strong> on<br />
stage macht ihre Laborbedingungen<br />
sichtbar. Es wird eine Art Experimentalsystem<br />
konstruiert, in dem auf experimentelle,<br />
d.h. ungesicherte und nicht<br />
vollständig berechenbare Weise künstlerische<br />
und theoretische Praxis vor<br />
sich geht und als ein ästhetisches Ereignis<br />
erlebt und erfahren wird. Die<br />
Gegenüberstellung und Ineinanderführung<br />
von Künsten und <strong>Theorie</strong> erfordert<br />
Unterscheidungen und ermöglicht<br />
die wechselseitige Beobachtung <strong>des</strong><br />
Geschehens. Damit machen sich die am<br />
Projekt sowohl auf der Produktionswie<br />
Rezeptionsseite Beteiligten selbst<br />
zum Gegenstand ihrer Beobachtung.<br />
<strong>Theorie</strong> thematisiert ihr Zu-Schauen,<br />
indem sie sich auf diese Weise einem<br />
Publikum exponiert. Die Projektion dieser<br />
Konstellation, die die Beteiligten<br />
vornehmen und sich als Involvierte in<br />
ihr selbst in Szene setzen, ist der <strong>für</strong><br />
eine so genannt performative <strong>Theorie</strong>arbeit<br />
entscheidende Vorgang.