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PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith

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Selbstorganisation<br />

im Château<br />

Als ich von Jan Ritsema und Bojana<br />

Cvejić Ende 2005 zum Gründungstreffen<br />

<strong>des</strong> PerformingArtsForum (PAF)<br />

nach St Erme eingeladen wurde, mischte<br />

sich in die Freude auch Sorge. In den<br />

Monaten davor hatte ich eigentlich beschlossen,<br />

meine Aktivitäten in solchen<br />

Gruppenprojekten eher zu reduzieren,<br />

als etwas Neues zu beginnen.<br />

Nach Jahren der selbstorganisierten,<br />

raumbasierten und theoretischen<br />

Arbeit im Berliner Kunstkontext hat<br />

sich bei mir eine gewisse Erschöpfung<br />

eingestellt. Ich habe seit 1992 in sehr<br />

unterschiedlichen Konstellationen an<br />

politisierten Kunstkonzepten gearbeitet<br />

und weiß, wie aufreibend die Arbeit<br />

sein kann. Auch wenn ich den Begriff<br />

‹Selbstausbeutung› nie mochte (der<br />

eine zeitlang inflationär der Selbstbeschreibung<br />

diente) und nach wie vor<br />

denke, dass man nicht leichtfertig jede<br />

sich institutionellen oder marktförmigen<br />

Zwängen entziehende kulturelle<br />

Praxis als negativen Ausdruck oder gar<br />

Speerspitze <strong>des</strong> flexibilisierten, postfordistischen<br />

Arbeitsregimes betrachten<br />

sollte, lassen sich gewisse Nähen und<br />

Überschneidungen nicht von der Hand<br />

weisen. Das liegt aber nicht an der<br />

Bereitschaft zu vorauseilendem Gehorsam.<br />

Vielmehr bleibt man auch im Stadium<br />

der Negation im Gravitationsfeld<br />

ökonomisch-staatlicher Trägheit und<br />

Kontrolle. Irgendwann klopft die «unsichtbare<br />

Hand», die nach Adam Sm<strong>ith</strong><br />

auf wundersame Art und Weise im<br />

Markt ‹Gutes› vollbringt, auf jeden Fall<br />

an deine Türe — und zwar nicht in<br />

guter Absicht. Natürlich blieben auch<br />

die schweren Türen <strong>des</strong> Landsitzes in<br />

Frankreich, den Jan Ritsema in einer<br />

Nacht- und Nebelaktion gekauft hatte,<br />

von diesem Ruf nicht verschont. Wie<br />

heftig die unsichtbare Hand klopfen<br />

würde, war zum Zeitpunkt der Einladung<br />

noch nicht klar.<br />

Paradoxerweise haben mich aus<br />

dieser Skepsis heraus gerade die problematischen<br />

Aspekte dieses spektakulären<br />

Vorhabens angezogen: Die schiere<br />

Dimension <strong>des</strong> Hauses und die Menge<br />

an eingeladenen Leuten, die in PAF zusammentreffen<br />

sollten. Auch die Abgelegenheit<br />

fern der einschlägigen urbanen<br />

Zentren hatte etwas Anziehen<strong>des</strong>,<br />

obwohl man sich leicht ausrechnen<br />

konnte, dass es die Sache nicht einfacher<br />

machen wird. Dazu kommen die<br />

Idee einer freien Universität der «Selbstorganisation»<br />

sowie das Versprechen,<br />

die verschiedensten internationalen<br />

Erfahrungen und Wissensformen an<br />

einem Ort zu bündeln und weiter zu<br />

geben. All das hat mich schließlich nach<br />

Frankreich gebracht.<br />

Schon kurz nach der Ankunft war klar,<br />

dass man sich hier nicht in ein gemachtes<br />

Nest setzen würde, sondern, wie es<br />

bei Selbstorganisation immer der Fall<br />

ist, bei Null anfängt. Auch wenn die eingeladenen<br />

Personen ihre Erfahrungen<br />

und Möglichkeiten mitbringen, so stellt<br />

einen die besondere Situation eines<br />

neuen Ortes und neuer Konstellationen<br />

vor die schwierige Aufgabe <strong>des</strong> Einstiegs.<br />

Es braucht einen Drive, um ein<br />

theoretisches Vorhaben umzusetzen.<br />

Bojana und Jan hatten <strong>für</strong> das<br />

erste Treffen alles sehr liebevoll und<br />

großzügig vorbereitet. Das riesige Haus<br />

und Grundstück machte den Eindruck<br />

eines verschollen geglaubten, verwunschenen<br />

Hotels, das <strong>für</strong> ein paar Tage<br />

wieder öffnet, um danach endgültig zu<br />

verschwinden. Diese Mischung aus baufälligen<br />

und renovierten Zimmern,<br />

Sälen, Treppenhäusern und Fluren,<br />

umringt von einem Park mit eigener<br />

Kapelle, drückt sowohl die Trägheit als<br />

auch die reine Potentialität <strong>des</strong> Vorhabens<br />

aus. Ich kenne niemand anderen<br />

als Jan Ritsema, der sich getraut hätte,<br />

alle Karten auf dieses Grundstück zu<br />

setzen. Noch bevor die Wörter: ‹Wir›,<br />

‹<strong>Institut</strong>ion›, ‹Kunst, die denkt› oder<br />

‹PAF› den Hauch von Gewohnheit annahmen,<br />

machte sich unter der international<br />

zusammengewürfelten und sich<br />

noch selbst fremden Bewohnerschaft,<br />

die dem Lockruf gefolgt war, ein ungläubiges<br />

Staunen breit. Man könnte<br />

auch von einem Schock sprechen. In<br />

der E-Mail klang das alles fast zu schön,<br />

um wahr zu sein, und jetzt vor Ort<br />

schien es zu real, um einfach schön zu<br />

sein. Wo also beginnen? Die Materialität<br />

der Konditionen kann es nicht sein.<br />

Das Haus und das Soziale sind zunächst<br />

opak und entziehen sich einem Anfang.<br />

Wie immer braucht es eine Entscheidung,<br />

die sich in Sprache ausdrückt,<br />

um vom ‹Ich› zum ‹Wir› überzugehen.<br />

Eine Art Manifest. Bei aller Leichtigkeit,<br />

die sich in so einer Situation ein-<br />

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