_– _– _– 86 This Might Work in Practice, But Does It Work in Theory?
87 31 — # 08/09 (Dezember 2006) Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong> der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>) _– _– _– Idee zum Verfassen <strong>des</strong> Textes: über das Praxis-Verständnis der Geheimagentur schreiben und hinterher das Wort ‹Praxis› per Suchprogramm durch das Wort ‹<strong>Theorie</strong>› ersetzen. I «Wir sind die <strong>Theorie</strong>, Ihr seid die Praxis»… …verkündet die Frau am Rednerpult zu Beginn von «Asche zu Asche», einer Show zu <strong>Theorie</strong> und Praxis <strong>des</strong> Geldverbrennens. Am Eingang haben alle Zuschauer je einen Zehn-Euro-Schein erhalten, auf den das Wort ‹Asche› gestempelt wurde. Nun folgen sieben Thesen zur Praxis <strong>des</strong> Geldverbrennens in Religion, Politik, Kunst und Wirtschaft. Soweit zur <strong>Theorie</strong>. Nach jeder These entscheiden die Zuschauer: Wollen sie die zehn Euro einsacken oder an den seltsamen Kasten auf der Bühne herantreten und den erhaltenen Schein öffentlich verbrennen? Als Bekenntnis zum Traum von der Abschaffung <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>? Um ein Polaroid vom Verbrennungsakt zu erhalten und es zu verschenken? Oder um die Asche in ein Tütchen abzufüllen, auf dem «Verschwendung <strong>für</strong> alle» gefordert wird? Die Geheimagentur verteilt die Gage, die sie <strong>für</strong> diesen Auftritt erhält, und entscheidet sich gegen die Option, selbst Geld zu verbrennen. Auf diese Weise wird die Show zu einem Erkundungsraum, in dem viele Leute die Geste <strong>des</strong> Geldverbrennens in ihren verschiedenen Facetten erproben können: als rituellen, als künstlerischen, als ökonomischen, als politischen Akt. Gibt es eine Passage von der Geldverbrennung als Sackgasse linksradikaler Aktion zu einer anderen, komplexeren Praxis? Von der Negation der Ökonomie zur Logik der Gabe? Passagen, die aus den deadends linker <strong>Theorie</strong>/Praxis-Verschränkungen herausführen, sind Forschungsgegenstand der Geheimagentur; es geht um kleine taktische Verschiebungen, die es erlauben, Kommunikationsguerilla weiterzudenken — auch dahin, wo sie unsichtbar wird, vielleicht auch geheim. Im Folgenden wollen wir vier solche Verschiebungen skizzieren. II Die Flucht aus der <strong>Theorie</strong> Eine <strong>Theorie</strong> der Geheimagentur zu formulieren, ist schwierig, denn die Geheimagentur beginnt als eine Flucht aus der <strong>Theorie</strong> und ihrer kritischen Gewalt. Jenseits konkreter gemeinsamer Anliegen konstituierten sich politische Gruppen der Linken die längste Zeit über eine gemeinsame Analyse gesellschaftlicher Situationen. Dies steuert prinzipiell auf eine Art Gerichtsverfahren zu, bei der die <strong>Theorie</strong> über die Praxis den Vorsitz führt: Entspricht die Praxis der <strong>Theorie</strong>? Setzt sie bei Ursachen an, steuert sie auf Lösungen zu, die mit der kritischen Analyse ausgemacht wurden? Wo sie aber der <strong>Theorie</strong> entsprechen soll, ist Praxis einer Stellvertreterlogik unterworfen. Sie tendiert zur symbolischen Aktion, Aufklärung bleibt ihr Horizont. Zudem wendet das Gerichtsverfahren die Schwierigkeit, Praxis auf <strong>Theorie</strong> abzubilden, gegen das fragliche Kollektiv: Da es sich über die Zustimmung zur Analyse konstituiert, droht es sich zu spalten, sobald eine konkrete Praxis dem Urteil der Kritik nicht untergeordnet werden kann. Das sind Ursachen <strong>für</strong> die seit den 90er Jahren aufs Neue sich verbreitende Lust auf eine künstlerische, performative politische Praxis. Performance gibt der Praxis einen anderen, einen ganz eigenen Stellenwert und bringt sie damit ein Stück weit vor der <strong>Theorie</strong> in Sicherheit. Sich unter dem Namen «Agentur <strong>für</strong> Aktionsforschung» zum Performance-Training zu treffen — das hieß, eine Instruktion nach Art der instruction art im öffentlichen Raum umzusetzen: Kein Originalitätsdruck und vor allem die Möglichkeit, eine gemeinsame Praxis ungefragt vor die <strong>Theorie</strong> zu setzen, eine Praxis, die im öffentlichen Raum immer auch zufällige Mitstreiter und Zaungäste fand, unerwartete Allianzen. Dennoch: Je größer die «Agentur <strong>für</strong> Aktionsforschung» wurde, <strong>des</strong>to stärker wurde auch der Druck, sich durch Analysen und Programme identifizierbar zu machen, Unvereinbarkeiten festzustellen, Mitglieder von Nicht-Mitgliedern zu unterscheiden. Das Gerichtsverfahren hatte begonnen. Das Gründungsdokument der Geheimagentur ist daher zugleich eines der Auflösung: )