© Leonard Zubler
137 31 — # 08/09 (Dezember 2006) Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong> der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>) _– _– _– Vorbemerkung: Das Gespräch fand am 28. Juli 2006 in Hamburg statt und wurde mit dem Tonband aufgezeichnet. Für die Veröffentlichung wurde es korrigiert und bearbeitet. Gesa Ziemer, Zürich, August 2006 Weitermachen! Gesa Ziemer Matthias, du bist bekannt geworden mit deinen Themenwochenenden, die du <strong>für</strong> die Schauspielhäuser Hamburg, Frankfurt und Zürich konzipiert hast. Globalisierung, Widerstand, Geld, Heimat oder Krankheiten der Gesellschaft standen und stehen dabei auf dem Programm und werden von dir immer in Verbindung mit Kunst und <strong>Theorie</strong> kuratiert. Welche Qualität muss ein Theoretiker haben, um bei dir auf einer Theaterbühne auftreten zu können? Matthias von Hartz Eigentlich kann das jeder. Das Problem ist aber, dass Theoretiker selten auf die Darstellung ihres Wissens achten. Sie sind es gewohnt, zu schreiben und an Fachkonferenzen vor einem entsprechend gebildeten Publikum zu sprechen. Meine Veranstaltungen finden jedoch in öffentlichen Räumen wie Theatern und Ausstellungsräumen statt und werden somit von einem heterogeneren Publikum besucht. Deshalb macht es Sinn, auch auf die Form der <strong>Theorie</strong>-Präsentation zu achten. Die Theoretiker, die mich interessieren, können erstens ihr komplexes Wissen auf den Punkt bringen. Eine gewisse Verkürzung der Sachlage nehmen sie in Kauf — mit dem Gewinn, ein breiteres Publikum anzusprechen und <strong>für</strong> ein Thema zu sensibilisieren. Zweitens lassen sie sich auf Formatexperimente ein. GZ Kannst du <strong>für</strong> die beiden Qualitätsmerkmale ein Beispiel nennen? MH Bei go create resistance in Hamburg zum Thema Globalisierungskritik hatte ich den italienischen Philosophen Toni Negri eingeladen, der über politischen Widerstand sprach. Wer ihn schon einmal live erlebt hat, weiß, wie emphatisch, geradezu positivistisch er seine <strong>Theorie</strong>n vertritt. Er formulierte beispielsweise den Satz: «Leben an sich ist ja schon Widerstand.» Daraufhin meldete sich jemand aus dem Publikum, der erzählte, dass seine Freundin gerade schwanger sei. Seine Frage war, wie das zerbrechliche Leben, dass da nun bald das Licht der Welt erblicken würde, denn schon Widerstand sein könnte. Alle haben gelacht, und Negri musste <strong>für</strong> ein paar wertvolle Minuten sein Wissen an einem ganz alltäglichen und sehr banalen Fall beweisen. Natürlich ist er dann schnell wieder in sein Begriffsgebäude zurückgekehrt, aber ich glaube, dass genau diese Minuten diejenigen sind, an die sich das Publikum erinnert. Zur Frage der Formatexperimente: Der Schauspieler Bernd Moss hat mit mir zusammen am Schauspielhaus Hamburg die Themenwochenenden moderiert, und er war bei go create resistance da<strong>für</strong> verantwortlich, naive Fragen zu hochkomplexen Themen zu stellen. Zum Thema Geld beispielsweise sassen wir mit Professor Birger Priddat auf der Bühne und haben naive Fragen gestellt wie: «Wo kommt das Geld her?»; «Was sind Zinsen?»; «Wo ist das Geld hin?» Der Theoretiker konnte entsprechend immer wieder mal auch auf diesem Niveau reagieren. Er hat beispielsweise auf eine Frage nach der Funktionsweise von negativen Zinsen, die sich ja kaum jemand zu stellen wagt, einen Geldschein herausgeholt und eine Ecke abgeschnitten. Mit dieser Methode hat er weitererklärt, wie die Existenz positiver Zinsen unseren ganzen Umgang mit Geld bestimmt. GZ In der <strong>Theorie</strong>welt ist man es — im Gegensatz zur Bühnen-Szene — nicht gewohnt zu proben? Das müsstest du aber tun, wenn du die Frage der anderen Darstellungsformate auch <strong>für</strong> die <strong>Theorie</strong> einforderst. MH Ich lade <strong>Theorie</strong>-Gäste nie nur aufgrund guter Publikationen ein, sondern treffe sie — wenn möglich — persönlich. Am liebsten lade ich sie früh an dem jeweiligen Auftrittstag ein, um mit ihnen schon mal auf die Bühne zu gehen. Räume, Atmosphären, Akustik, Licht etc. sind <strong>für</strong> vortragsähnliche Settings genauso wichtig, wie sie es <strong>für</strong> Performances sind. Jeder Theoretiker ist bereits ein Performer, wenn er auf der Bühne steht. Das heißt aber nicht, dass jeder bei mir Theater spielen muss — nur das nicht. Viel eher geht es themenspezifisch darum, die Eigenheiten der <strong>Theorie</strong> zu inszenieren. Das geht oft mit einfachen Mitteln wie einem anderen Bühnenbild, in dem jemand spricht, die Anordnung der Sitzmöglichkeiten, das Licht. Aber auch über performative Ideen <strong>für</strong> das Setting. Ein Abend in Hamburg über Konsum und Religion beispielsweise war in der Form einer Messe gestaltet und die <strong>Theorie</strong>-Elemente entsprechend wie Predigt und Lesung. GZ Dir wird manchmal vorgeworfen, dass du die <strong>Theorie</strong> zu stark popularisierst und damit vereinfachst. Bist du ein Verfechter der Volkshochschule? MH Ja. Mein Ziel ist immer, ein möglichst breites Publikum <strong>für</strong> ein Thema zu interessieren. Die Kunst ist es ja, viele unterschiedliche Formate wie Performances, Theater, <strong>Theorie</strong>, Musik und Alltäglichkeiten so zu kuratieren, dass alle Beteiligten und das Publikum überrascht werden. Wenn man, wie es bei mir oft der Fall war, größere Hausbespielungen kuratiert, dann kommt es nicht nur auf die eine Präsentation an,