PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
PDF des gesamten Heftes (5MB) - Institut für Theorie ith
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
43<br />
31 — # 08/09 (Dezember 2006)<br />
Das Magazin <strong>des</strong> <strong>Institut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Theorie</strong><br />
der Gestaltung und Kunst Zürich (<strong>ith</strong>)<br />
_–<br />
_–<br />
_–<br />
4 «Berlin. — Wie viel ist ein Leben wert?<br />
Welche Religion hat Gott? Über 100 Fragen wie<br />
diese wollen am 9. September 12 Wissenschaftler,<br />
Künstler, Philosophen und Unternehmer in<br />
Berlin diskutieren. Da<strong>für</strong> wurde ein Holztisch<br />
mit einem Durchmesser von 33 Metern, der<br />
größte runde Tisch der Welt, bereitgestellt.<br />
Die Veranstaltung wird vom amerikanischen<br />
Schauspieler Willem Dafoe moderiert.« (SDA /<br />
Tages-Anzeiger Zürich, 22. August 2006, S. 46)<br />
Solche Happenings sind typisch <strong>für</strong> die aktuelle<br />
Konjunktur der Diskurs-Theatralisierung.<br />
Performanz der <strong>Theorie</strong> fordert:<br />
1. Experimentelle (gelegentlich auch<br />
entsprechend aufwändige, kostspielige)<br />
kulturelle Konstellationen zu<br />
riskieren (vgl. die <strong>Theorie</strong>-Installationen<br />
<strong>des</strong> <strong>ith</strong> wie «Klassentreffen»,<br />
«Global — Local», «Glamour», «Unruhe<br />
bitte!», «Sanatorium», «Ästhetik<br />
der Kritik» etc.).<br />
2. <strong>Theorie</strong> als Gestaltungsaufgabe zu<br />
begreifen, die verstrickt ist in die<br />
Künste, die sie thematisiert.<br />
3. In der Gestaltung dieser Aufgabe<br />
metaphorisch, narrativ, rhetorisch<br />
und affektiv zu werden: <strong>Theorie</strong> im<br />
Zeichen unreiner Vernunft.<br />
4. <strong>Theorie</strong> damit anschaulich zu machen<br />
— nicht im Sinne eines Propädeutikums,<br />
sondern der Selbst-Transparenz.<br />
Die Herstellung von Experimentalsystemen<br />
der <strong>Theorie</strong> geschieht konkret<br />
im Kontext von <strong>Institut</strong>ionen. Wie eingangs<br />
erwähnt, soll die Verschiebung<br />
der <strong>Theorie</strong> in andere Umgebungen<br />
ihre eigenen Bedingungen, die sich u.a.<br />
durch institutionelle Rahmungen ergeben,<br />
bemerkbar machen und in Frage<br />
stellen. Das Problem ist, dass man in<br />
der Zusammenarbeit mit Kulturzentren,<br />
Theaterhäusern, Kunsthallen, Galerien,<br />
Aktionsräumen, Gastrobühnen,<br />
Buchhandlungen etc. wiederum auf die<br />
diesen <strong>Institut</strong>ionen spezifische Bedingungen<br />
und Zwänge stößt — und dies<br />
gilt <strong>für</strong> den On- wie den Off-Bereich.<br />
Im Vordergrund stehen meistens ökonomische<br />
Kriterien. Man rechnet mit<br />
Zahlen und das heißt: mit Besucherzahlen.<br />
Der kategorische Imperativ lautet:<br />
Aufmerksamkeit, breite Öffentlichkeit,<br />
Unterhaltungswert, und entsprechend<br />
forciert man die didaktischen<br />
Bemühungen — auf Kosten <strong>des</strong> Experimentellen.<br />
Aber das ist kurzatmig,<br />
und kein Experimentallabor würde so<br />
vorgehen und die ökonomischen Effekte<br />
schon vor den Experimenten selbst<br />
erwarten. Das ist eine miese Konfusion<br />
von <strong>Theorie</strong>-Kunst-Kommerz. Experimente<br />
kosten, ohne dass man wissen<br />
kann, ob sich das ‹lohnen› wird. Sonst<br />
sind es keine Experimente, sondern<br />
wohldosierte Scheinveranstaltungen,<br />
um Aufmerksamkeit zu heischen.<br />
Die Agenten der <strong>Institut</strong>ionen<br />
haben das ‹Doppelleben› als fixe Vorstellung<br />
und als Schere der Zensur verinnerlicht:<br />
<strong>Theorie</strong> gilt immer noch<br />
und immer wieder — weil intellektuell,<br />
‹anspruchsvoll› und abstrakt — als potentieller<br />
Publikumsschreck, und die<br />
Gefahr ist denn auch groß, dass die<br />
<strong>Theorie</strong>-Projekte entsprechend (re)-<br />
agieren. Gegen die Angst vor dem Abstrakten<br />
und Elitären unternimmt man<br />
mittels Strategien der ‹Popularisierung›<br />
und der ‹Veranschaulichung› den Versuch<br />
der ‹Öffnung› <strong>für</strong> ein ‹breites›<br />
Publikum — und läuft dann oft Gefahr,<br />
der vorherrschenden Spaßkultur nahtlos<br />
zuzudienen. Die <strong>Theorie</strong> im Theater<br />
mutiert zum Theater mit der <strong>Theorie</strong>,<br />
die Ereignisqualität <strong>des</strong> Experiments<br />
zum Event der Unterhaltungskultur.[4]<br />
Dazu kommt, dass jeder Betrieb, wie<br />
jeder Markt, nach den Gesetzen der<br />
Steigerung und Beschleunigung funktioniert.<br />
Diese Art multimedialer, interdisziplinärer<br />
Veranstaltungen hat Konjunktur,<br />
und die ‹Eventisierung› macht<br />
auch vor dem pièce de résistance der<br />
Ästhetik der <strong>Theorie</strong> nicht halt: die<br />
ästhetische Erfahrung wird pervertiert<br />
in der Feier der Interaktivität. Das Publikum<br />
will etwas erleben, und die <strong>Theorie</strong>,<br />
die sich auf das Terrain der Mitmachkultur<br />
begibt, muss lustige Formen<br />
der Beteiligung <strong>des</strong> Zu-Schauers erfinden,<br />
sonst kann sie auch hier abdanken.<br />
Vorträge sind öde, Karaoke ist in,<br />
warum also nicht Karaoke-Vorträge?<br />
)