III Die gerne in Vergessenheit geratende psychotechnische wesentliche Grundlage <strong>des</strong> Verlegens ist die zeitaufwändig und mit einem gerüttelten Maß an Ausdauer zu erwerbende Technik <strong>des</strong> stummen Lesens, die dem eher viral verlaufenden Spracherwerb nachgeht. Mit einer etwas gewagten metonymischen Volte ließe sich das Verlegen for-the-sake-of-thisarticle als Ver-legere, als Verlesen, auslegen. Damit sind gleich zwei aufeinander bezogene Leseweisen gewonnen, die das Lesen, wie es in der Verlagsarbeit praktiziert wird, auffächern. Zum einen wird so der Aspekt der Auslese sichtbar, eine unablässige Filterung all <strong>des</strong>sen, was tagtäglich in gedruckter oder immer häufiger an einem Bildschirm generierter Form erscheint. Die Filterung findet auf verschiedenen Ebenen statt; banalerweise zuunterst auf der Ebene <strong>des</strong>sen, was überhaupt in den Verlag gelangt und was man aufgrund der eigenen Fähigkeit, Schriften zu lesen, überhaupt zu dechiffrieren in der Lage ist. Erst dann folgen die reflektierteren Filter, die Geschmack, Stil, Relevanz usf. anrechnen. Dass diese Filter inkonsistent und letztlich inkommensurabel bleiben, da<strong>für</strong> sorgt, zum anderen, der zweite Aspekt <strong>des</strong> Verlesens — der der notwendig missverstehenden Aneignung aller Texte. Daran ändern auch alle Brief-/E-Mail-Wechsel oder Gespräche mit AutorInnen nichts, die, wenn sie denn ihrerseits veröffentlicht werden, ein entsprechend beredtes Zeugnis von diesem Verhältnis abgeben. Alle Hoffnung — sowohl der AutorInnen als auch der LeserInnen —, das Verlegen als zur Gänze nachvollziehbaren Vermittlungsprozess zu deuten, ist Makulatur. Verlegen unterscheidet nicht um der Unterscheidung willen, sondern weil die Unterscheidung die Voraussetzung <strong>des</strong> Verlegens ist. IV Damit steht die Tür offen <strong>für</strong> einen Kunstbegriff, <strong>für</strong> den der <strong>des</strong> Verlegens ein weiteres Mal seziert werden muss: Die Verlage, Singular, die mit der großen Lagebesprechung abrechnende und zugleich an sie anknüpfende Markierung, die Michel Foucault mit dem akademieaffineren Titel ‹Heterotopie› versehen hat. Seine Beschreibung bleibt gleichwohl gültig: «[W]as mich interessiert, das sind unter all diesen Plazierungen diejenigen, die die sonderbare Eigenschaft haben, sich auf alle anderen Plazierungen zu beziehen, aber so, daß sie die von diesen bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse suspendieren, neutralisieren oder umkehren.»[2] Platzierungen lassen sich, ohne den Bezug auf Lacan aufgeben zu müssen, und nur darum sei es hier notiert, auch als Lagen denken und schreiben. Das großartige und hier bewusst strapazierte Präfix ‹Ver› versetzt die Lage in eine der dreifachen Bezugnahme: Suspension, Neutralisierung und/oder Umkehrung der originär bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse. Drei Techniken, die — exakt und bis heute gültig — die Deformationen von Information eingrenzen, mit der es die genuin ästhetisch grundierte Arbeit <strong>des</strong> Verlegens aufnimmt. Dies schließt ausdrücklich die Bezugnahme, oder wie es inzwischen weniger präzise heißt: die Vernetzung <strong>des</strong> Verlages mit so diversen öffentlichen oder privaten Lagen wie der Kunst, der Politik oder der Ökonomie ein. 22 2 Michel Foucault, «Andere Räume» (1967), in: Karlheinz Barck / Peter Gente / Heidi Paris / Stefan Richter (Hgg.), AISTHESIS. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 34-46, hier: S. 38.
23 FLorIan WaLdvogeL Who Needs Words When You Got Arts Für Florian Waldvogel sind Kunst und <strong>Theorie</strong> bei<strong>des</strong> Praxisformen, deren Wechselbeziehungen er als Kurator betont. Unter verschiedenen sozialen, politischen und institutionellen Bedingungen versucht er Kunst, Seminare und Workshops miteinander zu verweben. Diese «mikropolitischen Praxisformen», wie er sie nennt, stellt er hier anhand von drei Projekten vor. Darunter ist auch der (gescheiterte) Versuch, die «Manifesta 6» auf Zypern als Vermittlungsdisplay zu gestalten.