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_– _– _– 144 Kritik der Unterhaltung Wie wir wissen, gibt es nichts Langweiligeres als die Unterhaltung, doch wo liegen die Gründe dafür? Die Antwort findet sich darin, dass nur jene Verhältnisse, die ihre eigene Stabilität durch Unterdrückung verwirklichen, Unterhaltung benötigen. Ziel ist es, den Widerstand an eben jenen Verhältnissen einzuschläfern, und deshalb hat die Unterhaltung niemals belebende oder aufrüttelnde Wirkung, betäubende Langweile ist ihr Sinn, die Unruhe ihr Feind. In der modernen Welt kommt der Produktionsmenge von Waffen nur die der Unterhaltung gleich, was neben ihrer Unmoral vor allem ihr rein industrielles Wesen beweist. Es gab keine Unterhaltung vor der Unterhaltungsindustrie, und ihr Erfolg beruht auf der weit gehenden Unabhängigkeit von den Produktionsmitteln. Sie benötigt lediglich eine effiziente Organisationsform. Die beste Unterhaltung folgt aus der effizientesten Organisation, sie ist ihr Abfallprodukt, und was sie organisiert, ist Masse. Es geht der Unterhaltung darum, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Anzahl Menschen, die entweder möglichst groß oder aber sich untereinander möglichst ähnlich sein sollen, zu versammeln. Je ähnlicher sich die Menschen dieser Masse sind, umso kleiner muss sie sein, und umgekehrt. Es ist einfach, ein Dutzend Ärzte gleichzeitig zu unterhalten, ungleich schwieriger wird es, wenn es sechs Ärzte und sechs Hufschmiede sind, noch schwieriger, wenn vier Ärzte, vier Hufschmiede und vier Bäuerinnen zusammen kommen, und die Sache der Unterhaltung muss unweigerlich scheitern, wenn von den versammelten zwölf Menschen keiner denselben Beruf ausübt. Es geht dabei natürlich nicht um den Beruf. Wenn in diesem Dutzend zufällig zwölf Brillenträger sein sollten, so wird man sich ohne Schwierigkeit unterhalten können, und wenn nicht, so wird man von den restlichen ebenfalls Brillen verlangen. Erst durch Gewalt kommt Masse zu Stande, erst durch Masse Unterhaltung, nicht etwa durch eine Darbietung, eine Vorführung, ein Buch. Es gibt keine Subjekte in der Unterhaltung, und die Gründe, aus denen sich die Masse versammelt, sind so einerlei wie der Ort, an dem sie sich versammelt. Es ist unmöglich, sich alleine oder zu zweien zu unterhalten. Nur Pietisten und Katholiken behaupten, Selbstbefriedigung sei Unterhaltung. Tatsächlich ist sie ihr größter Protest, und selbst in der Zweisamkeit ist noch keine Unterhaltung möglich; erst durch drei Menschen ergibt sich das kleinstmögliche ausbeutbare Abhängigkeitsverhältnis, ist es erst möglich, einen ersten Menschen vor den Augen eines zweiten zu erniedrigen und einen dritten daraus Profit schlagen zu lassen. Das Niederträchtige an der Prostitution ist auch nicht die Prostitution selbst, sondern die Zuhälterei. Sie erst macht Prostitution zur Unterhaltung. Da sich die Unterhaltung das Bedürfnis nach sich selbst schafft, wird sie nach ihrer Abschaffung unvermisst bleiben. An ihre Stelle wird die Zerstreuung treten, statt Vermassung also Aufteilung in die vielfältigen und unvereinbaren Teile des Geistes. Weil sie sich nicht organisieren lässt, ist sie auch nicht ausbeutbar. Die ausschweifende Zerstreuung ist launisch, sie lässt sich nicht herstellen, nur in Gang setzen, kennt keine Konzentration und keine Beschränkung, auch nicht auf das Wesentliche. Das Wesentliche nimmt sie wie das Unwesentliche, und gerade dadurch wird sie erheblich. Das unkontrollierte Schweifen, der Spaziergang des Geistes durch seine verschiedenen, entlegenen Landschaften, einmal durch verödete, gefährliche, abenteuerliche, und gleich darauf durch reiche, kultivierte, sichere, gemächliche Gegenden, ist die Eigenart der Zerstreuung, das Nebeneinander des Hehren und des Niederen ihr Merkmal. Dieses Merkmal teilt sie mit der Freiheit, und wie aus jener lässt sich auch aus dieser kein Profit schlagen. Niemand und zuletzt der sich zerstreuende Mensch weiß, wohin die Zerstreuung führt. Die Zerstreuung hält sich nicht an Pläne, nicht an Zäune, schläft unter Brücken, badet nackt in Flüssen und nimmt Partei für jede gerechte Sache, auf die sie zufällig trifft. All dies wird die Unterhaltung zu unterdrücken versuchen, denn sie ist, wie alles Sesshafte, totalitär und fürchtet nichts mehr als die Vagabunderei des Menschen und seines Geistes.
145 s. 145 AutorInnen s. 148 Laufende Ith- Forschungsprojekte s. 150 AbgeschLossene Ith-Forschungsprojekte s. 152 PubLIkatIonen s. 154 Impressum AutorInnen Mieke Bal (*1946), Kulturkritikerin und -theoretikerin, ist seit 1991 Professorin für Literaturtheorie an der Universität Amsterdam (www.hum.uva.nl) und Mitbegründerin und Direktorin (1993-1998) der Amsterdam School for Cultural Analysis (ASCA, www.hum.uva.nl/asca/). Seit einigen Jahren beschäftigt sie sich mit Filmproduktionen an der Schnittstelle von Theorie und Kunst. ) M.G.Bal@uva.nl Lukas Bärfuss (*1971), nach der Matura Ausbildung zum Buchhändler. Seit 1997 Tätigkeit als Schriftsteller. Lebt mit seiner Familie in Zürich. Zuletzt: Meienbergs Tod; Die sexuellen Neurosen unserer Eltern; Der Bus, Göttingen 2005. Er arbeitet an einem neuen Stück für die Kammerspiele München. Arbeitstitel: Die Probe. Uraufführung im Februar 2007. ) lukasbaerfuss@bluewin.ch Valeria Bonin (*1978), Selbständige Visuelle Gestalterin FH, 1997–2002 Studium der Visuellen Gestaltung an der HGKZ. Zusammenarbeit mit Diego Bontognali und Rahel Arnold als Bonbon seit 2003. ) valeria@bonbon.li Diego Bontognali (*1977), Selbständiger Visueller Gestalter FH, 1997–2002 Studium der Visuellen Gestaltung an der HGKZ. Zusammenarbeit mit Valeria Bonin und Rahel Arnold als Bonbon seit 2003. ) diego@bonbon.li Gabriela Christen (*1961), Dr. phil I. Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und Philosophie in Basel, Paris, Wien und Zürich. Nach dem Studium Projektbeauftragte und Ausstellungsmacherin am Schweizerischen Landesmuseum, Direktorin der Museen des Kantons Nidwalden. Seit 1996 Kulturredaktorin Schweizer Radio DRS, verantwortlich für den Bereich Bildende Kunst und Ausstellungen. Seit 1999 Dozentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ) im Studienbereich Theorie: Studien zur Medien-, Kunst- und Designpraxis. 2003 Abschluss einer Dissertation zum Thema des Frauenbildes bei Ferdinand Hodler. Daneben Tätigkeit als kunstwissenschaftliche Publizistin mit Schwerpunkt auf der Schweizer Kunst um 1900 und der zeitgenössischen Kunst. ) gabriela.christen@hgkz.net Anna Greta Colby (*1980), Freischaffende Photographin FH, 2001-2006 Studium der Photographie an der HGKZ. ) anna.colby@gmx.net Jojakim Cortis (*1978), Freischaffender Photograph FH, 2001-2006 Studium der Photographie an der HGKZ. Zusammenarbeit mit Adrian Sonderegger seit 2005. ) jojakim@cortis.de
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2 Autonome A.F.R.I.K.A.-Gruppe / Lu
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4 Vgl. Douglas Adams, Per Anhalter
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Seite 113 und 114: 111 Peter WeIbeL ZKM: EIn Museum aL
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Seite 123 und 124: 121 7 Vgl. dazu ausführlicher Beat
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