Text - Beratungsstelle für Landesgeschichte
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Leimgruber / Meier / Sablonier • Kinder der Landstrasse 103<br />
immer Streitikeit mit einander. Und er wäre froh wen ich von N. fort ginge.» Er,<br />
B. K., habe eine neue Lehrstelle in Aussicht bei einem Maler in Z., dem er alles<br />
erzählt habe «von den 11 /2 Jahre wo ich in Lehre war». Der erwähnte Malermeister<br />
C. aus St., der von Siegfried offenbar umgehend gebeten wird, als Ersatzlehrmeister<br />
<strong>für</strong> sein Mündel wie <strong>für</strong> andere auch schon einzuspringen, bleibt in seinem<br />
Antwortbrief vom 12. November zurückhaltend. Er bedauere, dass B. K., den er in<br />
seinem Betrieb kurz kennengelernt habe, Schwierigkeiten habe, doch müsste er<br />
zuerst Siegfried, B. K. sowie dessen jetzigen Lehrmeister anhören. «Dass es ganz<br />
besonderer Kräfte bedarf, um anders veranlagte Burschen zu formen, oder doch zu<br />
formen versuchen, habe ich erlebt – auch ich bin müde geworden. […] Jetzt ist<br />
wieder ein Schwieriger bei uns. Hoffentlich, hoffentlich einmal <strong>für</strong> einige Jahre der<br />
Letzte solcher Sorte. Ich mag auch nicht mehr mich abhärmen um der Nächstenliebe<br />
willen. Ob Sie mich verstehen, sehr vererhrter Herr Doktor?»<br />
Wie von B. K. auf der Postkarte erbeten, kommt Siegfried am 13. November auf Besuch,<br />
um die Lage zu erkunden, und verfasst gleich zwei Besuchsrapporte. Zwar sei<br />
B. K. zweimal – einmal anlässlich der Rekrutierung – über die ganze Nacht weggeblieben,<br />
d. h. er habe sich «schon ziemlich einfältig betragen, aber bei weitem nicht<br />
so, dass man ihn deswegen verurteilen sollte». Leider habe B. K. in Z. entfernte<br />
Verwandte kennengelernt, und nachher habe «der Meister durch die Polizei vernommen,<br />
aus was <strong>für</strong> einer Sippe der Lehrling stammt». Von da an habe der Meister alles<br />
Vertrauen verloren, finde an B. keinen guten Faden mehr und behandle ihn ungerecht;<br />
die Meisterin überdies habe nun Angst vor B. K., so dass kein weiteres Verbleiben<br />
mehr möglich sei. Er habe sich verpflichtet, da<strong>für</strong> zu sorgen, dass B. K.<br />
innert einer Woche weg sei.<br />
Malermeister C. aus St. meldet sich telefonisch bei der Pro Juventute und verspricht,<br />
eine neue Stelle zu suchen. Diese wird denn auch rasch gefunden und im Schreiben<br />
W.s ans Kantonale Arbeitsamt Thurgau vom 18. November, in dem die Aufkündigung<br />
des Lehrvertrages in gegenseitigem Einverständnis, doch auf Verschulden des<br />
Lehrlings, mitgeteilt wird, bereits genannt. Es ist Malermeister K. G. in M., zu dem<br />
B. K. vom erwähnten Malermeister C. persönlich begleitet wird, wie B. K. mit Brief<br />
vom 27. November Siegfried mitteilt.<br />
Anfangs Dezember erkundigt sich Siegfried bei der Polizei am Wohnort von B. K.s<br />
ehemaligen Pflegeeltern, ob es stimme, dass sich B. K. anlässlich eines Besuches<br />
schlecht aufgeführt habe.<br />
Laut Besuchsrapport Siegfrieds vom 11. Dezember gefällt es B. K. an seiner neuen<br />
Stelle, und obschon er «wieder probiert hat, abends nicht heimzukommen, macht<br />
man keine Geschichten, sondern sucht ihn zu überzeugen, dass er auf diese Weise<br />
nicht vorwärts kommt».<br />
Tags darauf hält Siegfried seinem Schützling dann aber eine Standpauke: Er schärft<br />
ihm ein, von Wirtshausbesuchen künftig abzusehen, sich an Abmachungen zu halten<br />
(«Wenn du sagst, du kommst um 7 Uhr, so kommst du nicht um 8 oder um 10 Uhr.<br />
Das ist liederlich.») und sich in der Lehre anzustrengen. Schliesslich bittet er B. K.,<br />
der kurz vor seinem 20. Geburtstag steht, mit Verweis auf ein psychiatrisches Gutachten,<br />
das beigelegte Gesuch um Verlängerung der Vormundschaft gleich selbst zu<br />
unterzeichnen. «Wenn du das aber nicht gerne tust, so musst du natürlich nicht, dann<br />
geht es eben auf Grund des eben angegebenen Gutachtens.»